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Erinnerungshilfen

Wenn das Leben dir Zitronen gibt… Der amerikanische Schriftsteller Elbert Hubbard lobte im Jahr 1915 in seinem Nachruf einen Schauspieler, der »die Zitronen des Lebens zu Limonade« verarbeitet habe. Vermutlich ahnte er damals nicht, welchen Siegeszug diese Metapher durch die Welt der Katzenposter, Motivationsreden und Wandtattoos antreten würde. Das spricht für die Anschaulichkeit der gegensätzlichen Begriffe – die sauren Zitronen und die süße Limonade.

Als der Sozialpsychologe Rob Holland neunzig Jahre später seinen Versuchspersonen süße aber krümelnde Kekse gab, erinnerte saurer Zitronenduft sie offenbar an Sauberkeit. Eine versteckte Kamera filmte, wie in den Räumen mit versteckten Zitronen die Krümel sorgfältiger entfernt wurden als in Räumen ohne Zitronenduft. »Wenn das Leben dir Zitronen gibt, hinterlasse keine Kekskrümel«? Für ein Wandtattoo ist dieser Spruch nicht eingängig genug. Doch mit Zitronen und Keksen lässt sich das sogenannte »Priming« illustrieren.

Es wird auch zur Verkaufsförderung eingesetzt, wenn beispielsweise französische Hintergrundmusik den Absatz von französischen Weinen ankurbeln soll.

Von Priming ist also die Rede, wenn ein Geruch, ein Geräusch, ein Gegenstand die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens erhöhen. Schmeichelhaft ist das kaum: Kaufen wir denn nicht die Produkte, die wir am liebsten mögen, egal ob währenddessen französische Chansons oder italienische Arien zu hören sind? Und ist Reinlichkeit gar keine Tugend, sondern von zufällig anwesenden Zitrusfrüchten abhängig?

Die Versuche sprechen nicht gerade für Selbstbestimmung und Autonomie. Doch genau dafür kann das Priming genutzt werden, zum Lernen von neuen, selbstgewählten Gewohnheiten.

Nervenfasern verbinden sich beim Lernen zu neuronalen Netzen. Durch Üben werden diese Netze aktiviert, aber auch durch Klänge, Düfte oder Farben. Wenn die Erinnerungshilfen Gedächtnisinhalte aufrufen und zielgerichtetes Handeln auslösen können, dann liegt es nahe, sie für die eigenen Ziele einzusetzen, anstatt den Weinhändler*innen die Beeinflussung zu überlassen.

Maja Storch plädiert in Kursen zum Zürcher Ressourcen Modell für »chronisches Priming«. Das klingt zwar wie eine hartnäckige Krankheit, kann aber ausgesprochen hilfreich sein: »Der Stimulus wird nicht nur kurzfristig dargeboten, wie in den meisten psychologischen Experimenten, sondern dauerhaft. Dies erhöht die Wirksamkeit unbewusster Lernprozesse enorm.« Also chronische Langzeitzitronen.

Düfte oder Pflanzen können als Primes ebenso dienen wie das Desktopbild, der Klingelton oder ein Passwort.

»Wir regen die Kursteilnehmenden dazu an, ihr Umfeld systematisch mit Primes auszustatten, die dafür sorgen, dass das neue neuronale Netz dauernd benutzt wird, auch wenn sich die bewusste Aufmerksamkeit mit anderen Dingen beschäftigt. In der Sprache der Verhaltenstherapie würde man von einer ›Selbstkonditionierung‹ sprechen, bei der die Primes den Status eines zielauslösenden Reizes erhalten.«

Französische Musik und Zitronenduft wurden von den Versuchspersonen nicht bemerkt. In Doppelblindversuchen wussten nicht einmal die Versuchsleiter*innen, wer mit Zitronenduft umnebelt oder mit Musik beschallt wurde und wer nicht. Trotzdem oder gerade deshalb entfalteten sie ihre Wirkung.

Welchen Einfluss haben dagegen bewusst eingesetzte Primes? Wenn Menschen bemerken, dass andere sie manipulieren wollen, kann das Widerstand auslösen und das Gegenteil bewirken. Wem das Leben oder die Mitbewohner*innen Zitronen geben, um zum Putzen zu motivieren, der reagiert eher bockig als folgsam.

Wer sich jedoch selbst mit französischer Musik an das Französischlernen erinnert oder mit Zitronenduft an gesunde Lebensgewohnheiten, hat gute Aussichten auf Erfolg.

Nur das Katzenposter mit dem Motivationsspruch ist zu abgedroschen, um als Prime zu dienen. Außerdem sind bereits vorhandene Gegenstände schon mit anderen neuronalen Netzen verknüpft. Sie sind dann so schal wie abgestandene Limonade. Inspirierender wirkt frischer selbstgemachter Zitronensprudel.

Voilà!

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