unversteh.bar
Verständlichkeit
»Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz«: Mit einem solchen Wort lässt sich zwar das Spiel »Scrabble« gewinnen, aber nicht das Verständnis der Wähler*innen. Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider erforscht an der Universität Hohenheim die Verständlichkeit von Wahlprogrammen, Koalitionsverträgen und politischen Reden.
Lange Wortungetüme sind das offensichtlichste Symptom der beabsichtigten oder unbeabsichtigten Unverständlichkeit, aber nicht das einzige. Eine Analysesoftware vergibt Punkte auf einer Verständlichkeitsskala von 1 bis 20 und berücksichtigt neben den verwendeten Wörtern auch den Satzbau. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD erreichte einen Wert von 3,48 Punkten und ist damit schwerer zu verstehen als politikwissenschaftliche Doktorarbeiten: »Offenbar erwartet niemand, dass dieser Vertrag von irgendjemandem gelesen wird.« Frank Brettschneider spricht von »taktischer Unverständlichkeit.«
Die Politikwissenschaftlerin Christina Schildmann befragte Berliner Schüler*innen zwischen 16 und 19 Jahren und stellte fest, dass Jugendliche die politische Sprache als Herrschaftsinstrument wahrnehmen und abschreckend finden. Mit Unverständlichkeit werden Bürger*innen auf Abstand gehalten und Nachfragen abgewehrt. Ihr Buch über Politikverdrossenheit nannte Christina Schildmann »Gehstu Demokratie?«
Nur selten erleben Autor*innen die Reaktionen auf ihre Texte und die Verwirrung, die sie anrichten. Der Psychologieprofessor Friedemann Schulz von Thun testete die Wirkung von verständlichen und unverständlichen Formulierungen, unter anderem an seinen Studierenden. Er trug ihnen zuerst den komplizierten Versuchsbericht über einen unkomplizierten Versuch vor und anschließend die verbesserte Version:
»Wenn ich die beiden Textversionen im Psychologie-Hörsaal vorlese, passiert immer folgendes: Nach dem Verlesen des Originaltextes entsteht bei den Hörern Ratlosigkeit, manchmal Ärger über die komplizierte Sprache, teilweise etwas Ehrfurcht vor der Wissenschaft – verstanden haben wenige etwas. Während und nach dem Lesen der verständlicheren Fassung wird viel gelacht: die Lächerlichkeit des banalen Inhaltes tritt mit einemmal hervor und macht die Ehrfurcht überflüssig.«
Die beiden Texte handeln von einem Lernversuch mit Strudelwürmern. Die Würmer unterscheiden sich beim Lernen nur unerheblich von uns Menschen: Was sie lernen, vergessen sie bald wieder, zum Beispiel sich in einem Labyrinth zurechtzufinden. Um den Einfluss der Rahmenbedingungen auf den Lernerfolg zu erforschen, werden mehrere Strudelwurmteams gebildet, die sich zwischen ihren Trainingsphasen unterschiedlich lange erholen dürfen, von 1,5 bis 48 Stunden. Am besten ist die Leistung nach sechsstündiger Pause.
Ein Versuchsbericht bestand aus langen Wörtern und verschachtelten Sätzen, also quasi aus Strudelwurmwörtern und Labyrinthsätzen. Der andere war verständlich formuliert, ohne den Inhalt zu vereinfachen.
Friedemann Schulz von Thun gab beide Texte Leser*innen mit unterschiedlichen Schulabschlüssen. »An sich hatten wir erwartet: Leser mit Abitur würden auch die Originaltexte einigermaßen gut verstehen. Durch verständlichere Fassungen würden sie sich kaum verbessern. Dagegen würden Leser mit Volksschulbildung einen größeren Sprung nach oben tun. Diese Erwartung trat nicht ein.« Tatsächlich profitierten alle von der Verständlichkeit. »Ein weiteres Ergebnis war, dass die Leser auch gefühlsmäßig positiver auf die verständlichen Texte reagierten. Sie gaben zu 65% an, dass sie den Text gern gelesen hätten – bei den Lesern der Originaltexte waren es nur 27%.«
Der Philosoph Jürgen Habermas schrieb den verstrudelten Satz: »Theorien erweisen sich für einen speziellen Gegenstandsbereich dann als brauchbar, wenn sich ihnen die reale Mannigfaltigkeit fügt.«
Sein Kollege Karl Popper entstrudelte die Aussage, und übrig blieb: »Theorien sind auf ein spezielles Gebiet dann anwendbar, wenn sie anwendbar sind.«
Offenbar hatte Karl Popper wenig Verständnis für Unverständlichkeit: »Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.«