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Sprachimmersion

Ein Jahr lang testen sie die Selbstverbesserungsindustrie: Als sich der schwedische Professor Carl Cederström zusammen mit seinem Kollegen André Spicer auf dieses Rechercheprojekt einlässt, sind seine Ziele ehrgeizig.

Im März lernt er die ersten 1000 Nachkommastellen von Pi auswendig und im April konzentriert er sich auf die französische Sprache.

Zu Beginn des Monats lädt Carl Cederström die Sprachlern-App Duolingo herunter und vereinbart kühn für den 29. April ein Radiointerview auf Französisch. Um ganz in die neue Sprache einzutauchen, schafft er sich sein Petite France in Stockholm:

»Nur französisches Radio hören
Nur französische Zeitungen lesen
Nur französisches Fernsehen und französische Filme gucken
Nur französische Musik hören
Nur Bücher auf Französisch lesen
Zweimal die Woche mit einer französischsprachigen Person zu Mittag essen
Dreimal die Woche mit einer französischsprachigen Person telefonieren
Jeden Tag fünfzig Lektionen bei Duolingo machen«

Auch französisches Essen kommt zum Einsatz, als Belohnung für das anspruchsvolle Pensum. Und französischer Weißwein zur Nervenberuhigung: »Es lebte sich nicht unangenehm in dieser französisierten Blase. Was mir nicht gefiel, war der Gedanke, daraus auszubrechen und mich dem realen französischen Leben aussetzen zu müssen.«

Carl Cederström trifft sich optimistisch mit einem französischen Kollegen zum Mittagessen, doch nach einer Viertelstunde sprechen sie Schwedisch, weil ihn die französische Konversation erschöpft. Bei seiner Ankunft in Paris ist es die Pressereferentin, die seine Ambitionen bremst: »Im Zug vom Flughafen Charles de Gaulle ins Zentrum von Paris versuchte ich, mit Sam Französisch zu sprechen. Aber ich war zu langsam und zu schlecht. Sie wechselte zu Englisch.«

Ermutigung bekommt Carl Cederström kaum. Zwar übt er von morgens bis abends Duolingo-Lektionen, doch im Forum trifft er auf Sprachenfreaks, die neunzehn Fremdsprachen gleichzeitig lernen. Seine Frau betrachtet den Computerexzess skeptisch und André Spicer ist während der Recherche in einem Männercamp nicht erreichbar.

Vor seinem ersten Auftritt vor einem französischsprachigen Publikum greift er zum Rotwein: »Ich hatte Angst. Der ganze Tag war eine Qual gewesen. Ich hatte die Rede in einem Bistro vorbereitet und versucht, meine Nerven mit kleinen Mengen Rotwein zu beruhigen. Ich war erleichtert, als es vorbei war. Aber es war nicht vorbei. Morgen würde es schlimmer werden.«

Am nächsten Tag helfen beim Radiointerview nur noch Hopfen und Malz: »Die Moderatoren stellten mir eine Frage, die ich nicht ganz verstand, hatte aber eine Vermutung und antwortete mit Hilfe meiner Notizen so gut ich konnte. Ich zögerte, ganze Sätze einfach vorzulesen, wiederholte mich, stolperte über die Wörter, hielt inne und überflog wieder meine Notizen. Ich saß in der Falle. Es gab kein Entrinnen. Dann kam Sam ins Studio. Sie trug eine Tüte mit Bier. Sie gab mir eins. Bald schon fand ich einen neuen Tonfall. Wurde theatralischer. Ich stellte mich als einen betrunkenen Serge Gainsbourg vor. So müsste es gehen, dachte ich, aber die Moderatoren schauten verwirrt drein. Dann bestand ich darauf, eine längere Passage vorzulesen. Nach einer Stunde war es geschafft. Ich hatte das Gefühl, ich müsse mich übergeben. Mir drehte sich der Kopf. André stürzte auf mich zu und umarmte mich. Ich wollte weinen.«

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