herausfind.bar

Operationsverständnis

Textaufgabe für die vierte Klasse: »Bauer Müller möchte das Blumenbeet seiner Frau einzäunen, damit die Hühner nicht mehr hineinkommen. Das Beet ist 5m breit und 4m lang. Wie viele Meter Zaundraht muss er kaufen? Zeichne eine Skizze.«

Antwort einer Viertklässlerin: »Darum muss er sich selbst kümmern, wenn er eine Frau haben will!«

Das klingt gnadenlos, doch solange sich Bauer Müller auf die Hilfe von Grundschulkindern verlässt, bleibt er unselbständig. Je aktiver er dagegen seine Probleme löst, desto mehr lernt er. Noch besser für sein mathematisches Verständnis ist es, wenn er seinen Rechenweg erklärt.

»Erklären hat dabei den gewaltigen Vorteil, dass man selbst aktiv wird. Man führt mögliche Ursachen zusammen, versucht sie mit der Wirklichkeit abzugleichen, erkennt, woran es hakt oder ob es passt, und kann dann ein logisch begründbares Erklärungsmodell zusammenstellen.« (Henning Beck)

Frau Müller möchte die Erklärungen vermutlich nicht hören, und durch Mansplaining würde Bauer Müller möglicherweise seine Ehe gefährden. Doch vielleicht sind seine Hühner geduldige Zuhörerinnen?

»Bittet man Probanden, einfache Rechenoperationen durchzuführen (zum Beispiel aus der Bruchrechnung: 4:½=?), so ist das für die meisten kein großes Problem. Aber haben sie dann auch verstanden, nach welchem Prinzip sie die Bruchrechnung durchführen? Um das herauszufinden, bat man Gruppe 1 zu beschreiben, wie sie beim Rechnen vorging. Probanden dieser Gruppe sagten dann, dass sie durch einen Bruch dividierten, indem sie mit dem Kehrbruch multiplizieren. Gruppe 2 hingegen sollte ihren Rechenvorgang erklären. Das ist etwas anderes, denn bei einer Erklärung muss man sich auch damit beschäftigen, warum man etwas tut.«

Dass beim Teilen durch Brüche mit dem Kehrwert multipliziert wird, daran erinnern sich viele noch dunkel. Warum das so ist, wissen wenige. In ihrem Buch »Mathe-Kings« schreibt Nancy Hoenisch: »Die Frage, warum man die Multiplikation benutzt, wenn man Brüche teilen will, stellte ich nie und verstehe bis heute nicht, warum man das tut. Ich weiß nur: Mathematik war in der Schule zu schwer für mich, weil ich Formeln und Algorithmen lernen musste, aber nicht darüber reden durfte.«

Susanne Prediger beschreibt in ihrem Artikel »Brüche bei den Brüchen«, welche Irritationen das Bruchrechnen erzeugen kann, weil vertraute Grundüberzeugungen nicht mehr gelten wie »Beim Multiplizieren wird das Ergebnis größer, beim Dividieren wird es kleiner.« Wer sich Multiplizieren als wiederholtes Addieren vorstellt, erwartet einen Zuwachs.

Eine Flächeninhaltsvorstellung lässt sich mit der Multiplikation von Brüchen besser vereinbaren, denn als Längenmaß können ebenso Brüche wie natürliche Zahlen gewählt werden. Wenn Frau Müller nur kleine Blumen pflanzt und statt 5m x 4m mit einer Fläche von 1/5m Breite und 1/4m Länge auskommt, lässt sich der Flächeninhalt durch 1/5m x 1/4m = 1/20m² berechnen. Das bietet gerade mal Platz für einige Zwergastern und Zwerghühner, aber die Rechnung ist anschaulich und korrekt.

Henning Beck warnt: »Erklären ist eine wundervolle Methode, um ein Verständnis aufzubauen, aber trotzdem ist nicht jede Erklärung gut.«

Die Division kann als Verteilen oder als Aufteilen interpretiert werden. Solange mit natürlichen Zahlen gerechnet wird, lässt sich beides gut erklären:

Bauer Müller verteilt 8 Kartoffeln an 2 Hühner. Wie viele Kartoffeln bekommt jedes Huhn?

Bauer Müller teilt 8 Kartoffeln so auf, dass jedes Huhn 2 Kartoffeln bekommt. Für wie viele Hühner reichen die Kartoffeln?

Wenn jedoch die Hühner Diät halten und nur Kartoffelbruchstücke essen, zeigt sich der Unterschied. Beim Verteilen würde die Aufgabe 4:½ bedeuten:

Bauer Müller verteilt 4 Kartoffeln an ein halbes Huhn. Wie viele Kartoffeln bekommt es?

4:½=4×2=8

Antwort: Das halbe Huhn bekommt 8 Kartoffeln.

Kein Wunder, dass Mathematik manchmal als sonderbar gilt. Besser passt das Aufteilen:

Bauer Müller gibt jedem Huhn eine halbe Kartoffel. Für wie viele Hühner reichen 4 Kartoffeln?

4:½=4×2=8

Antwort: Die Kartoffeln reichen für 8 Hühner.

Zwar ändert sich die Aufgabe nicht, aber die Multiplikation mit dem Kehrwert wird vorstellbarer.

»Wann immer man einen Sachverhalt erklärt, kann man seine Struktur oder sein zugrunde liegendes Prinzip besser auf andere Sachverhalte übertragen.« Es überrascht also nicht, dass die erklärende Gruppe 2 in einem Test besser abschnitt als die beschreibende Gruppe 1.

Zahlreiche Gemälde zeigen, wie Franziskus von Assisi zu den Vögeln predigte. Warum soll Bauer Müller dann nicht den Hühnern die Mathematik erklären?

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