spür.bar
somatische Marker
Herzlichen Glückwunsch! Die Neujahrsvorsätze werden schon seit über hundert Tagen durchgehalten und sind inzwischen zur festen Gewohnheit geworden. Oder etwa nicht?
Falls es (mal wieder) nicht geklappt hat, wurde vielleicht versäumt, alle Beteiligten einzubeziehen. Maja Storch entwickelte das »Zürcher Ressourcen-Modell«, um alle zu Wort kommen zu lassen, auch die Wortlosen. Denn »Planungsvorgänge ohne körperliche oder gefühlsmäßige Begleiterscheinungen bleiben intellektuelles Geplänkel im Kopf, das typischerweise nicht zum Vollzug einer Handlung führt.«
Als der Neurowissenschaftler António Damásio die Hypothese der somatischen Marker aufstellte, beschrieb er damit Signale aus dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis, die als Körperempfindungen oder Emotionen gesendet werden. Sie können nicht unbedingt in Worte gefasst werden und müssen noch nicht einmal bewusst wahrgenommen werden, um zu wirken.
Bevor der Verstand logische Überlegungen über die Nützlichkeit einer Handlung anstellt, haben die somatischen Marker längst entschieden, ob diese Handlung das Wohlbefinden steigert oder vermindert. Wer will sich schon quälen? Also kann der Verstand noch so viele Argumente liefern, wie gesund es ist, Sport zu treiben – wenn das Wort »Sport« an gammelige Schulturnhallen erinnert und das Wort »treiben« an Sklaventreiber, bleibt nur die Selbstkontrolle. Für kurze, unangenehme Pflichten reicht das aus. Doch Vorsätze werden ja oft für die Zukunft gefasst, und die kann sich ziemlich lang anfühlen, wenn sie auf Selbstdisziplin aufbaut.
Roy Baumeister nennt in seinem Buch »Die Macht der Disziplin: Wie wir unseren Willen trainieren können« fünf Bedingungen, wann die Selbstkontrolle zusammenbricht:
Überforderung
Unterforderung
zu viel Aufregung
zu wenig Aufregung
Ablenkung
Also eigentlich fast immer.
Deshalb stellt Maja Storch die naheliegende Frage: »Wenn nun die Selbstregulation eine so wunderbare Sache ist, warum empfehlen dann viele Fachleute die Selbstkontrolle und rufen zur Selbstdisziplin auf, obwohl wissenschaftlich längst einwandfrei erwiesen ist, dass Selbstdisziplin störanfällig und darum wenig Erfolg versprechend ist? Das hat einen ganz einfachen Grund: Lange Zeit kannte man einfach keine Alternative. Niemand wusste, wie sich Selbstregulation gezielt erzeugen lässt.«
Die Selbstregulation stimmt den Verstand und das Unbewusste aufeinander ab. Das Ziel wird nicht konkret und spezifisch formuliert, sondern als »Motto-Ziel«. Motto-Ziele beschreiben eine Haltung und benutzen eine ausdrucksstarke Sprache. »Das Unbewusste wird durch bildhafte, metaphorische und schwelgerische Formulierungen an der Grenze zum Kitsch eher angeregt als durch trockene, realistische und konkrete Vorsätze, darum sind Motto-Ziele meistens richtig poetisch.«
Vielleicht ist der Neujahrsvorsatz »Täglich Kniebeugen bis zum Umfallen« also einfach nicht poetisch genug?