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Originalität

Alle Wege führen nach Rom, sagt ein Sprichwort. Zum Erfolg führen dagegen nur zwei Wege, sagt der Organisationspsychologen Adam Grant: Konformismus und Originalität. »Konformisten folgen eingefahrenen Gleisen und halten am Status quo fest. Originelle Menschen beschreiten bevorzugt neue Wege.«

Wer sich an vorgegebene Regeln anpasst, talentiert und ehrgeizig ist, entwickelt sich zu einer erfolgreichen, aber nicht unbedingt zu einer schöpferischen Persönlichkeit. »Übung macht zwar den Meister, schafft aber nichts Neues.« Entscheidend sei die Frage, in welchem Lebensbereich die Originalität ausgelebt wird.

»›In Stilfragen schwimme mit dem Strom‹, empfahl Thomas Jefferson, aber ›wenn es um Prinzipien geht, sei standhaft wie ein Fels.‹ Der Leistungsdruck bringt uns oft dazu, genau das Gegenteil zu tun. Wir ersinnen Mittel und Wege, nach außen hin originell zu erscheinen – indem wir etwa eine Fliege oder knallrote Schuhe tragen. Wirkliche Originalität riskieren wir lieber nicht.« Originalität ist kein Charakterzug, sondern eine Entscheidung. »Was muss man tun, um seine Originalität zu entwickeln? Man könnte damit anfangen, dass man versucht, origineller zu denken.«

Das originelle Denken führt zu guten Ideen. Doch wie lassen sich diese Ideen umsetzen? Die Brüder Romulus und Remus einigten sich im Jahr 753 v. Chr. darauf, eine Stadt zu gründen. Uneinig waren sie dagegen über den genauen Ort. Romulus beendete den Konflikt, indem er seinen Bruder erschlug. Das gilt nicht als konstruktive Entscheidungsfindung. Doch entfiel dadurch die zeitraubende Diskussion über den Namen der geplanten Stadt. Rom natürlich, nach dem Gründer Romulus.

Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, sagt ein anderes Sprichwort. Doch die Namensfindung ging schnell.

Adam Grant beschreibt in seinem Buch »Nonkonformisten. Warum Originalität die Welt bewegt« die Gründung von »Warby Parker«: Vier Studenten hatten die Idee, Brillen online zu verkaufen, und damit revolutionierten sie eine ganze Branche. Der Namensgebung widmeten sie sich ein halbes Jahr lang und erfanden mehr als zweitausend mögliche Firmennamen.

Anders als Romulus trafen sie ihre Entscheidungen aber nicht im Alleingang und mit Gewalt. Durch Umfragen beteiligten sie sogar ihre Zielgruppe bei der Auswahl des Firmennamens, der durch Jack Kerouac inspiriert war. Dieser Strategie blieben sie auch nach ihrem Erfolg treu: »2014 starteten sie ein Programm namens Warbles, das alle Mitarbeiter des Unternehmens dazu einlädt, jederzeit Vorschläge und Verbesserungswünsche einzureichen. Vor der Einführung von Warbles wurden pro Vierteljahr zehn bis zwanzig Vorschläge vorgelegt; seit dem Start des Programms schnellte die Zahl auf fast vierhundert hoch, nachdem die Mitarbeiter Vertrauen geschöpft hatten.«

In anderen Unternehmen neigen Manager*innen dazu, Risiken zu vermeiden und verzichten darauf, gute Ideen umzusetzen. »Wegen unserer Unsicherheit weisen wir oft instinktiv das Originelle zunächst zurück und suchen nach Gründen, warum ungewohnte Konzepte scheitern können.« Umgekehrt werden die eigenen Ideen übertrieben optimistisch bewertet.

Auch Expert*innen kommen zu falsch-negativen und falsch-positiven Urteilen, vor allem wenn sie ihre eigenen Werke beurteilen. »Kreative Prognostik« heißt die Kunst, den Erfolg einer Idee vorherzusagen. Brandon Tartikoff arbeitet als Unterhaltungschef bei NBC und sagt: »Keiner kommt hier herein und glaubt, seine Idee sei schlecht.«

70 Prozent der Highschool-Absolvent*innen glauben, ihre Führungsqualität läge über dem Durchschnitt und 94 Prozent der College-Professor*innen bewerten ihre eigene Arbeit als überdurchschnittlich gut. Man muss nicht Statistik unterrichten, um bei solchen Zahlen Zweifel zu hegen.

Ludwig van Beethoven gilt als selbstkritischer Komponist. Der Psychologe Aaron Kozbelt analysierte, wie er in Briefen seine Werke einschätzte und verglich diese Urteile mit denen von Beethoven-Expert*innen: »Wie sich zeigte, traf Beethoven bei siebzig Werken fünfzehn Mal ein falsch-positives Urteil und schätzte Kompositionen als großartig ein, die sich als nicht sonderlich bedeutend erweisen sollten. Andererseits urteilte Beethoven achtmal fälschlicherweise negativ und bemängelte Stücke, die von der Nachwelt höchste Wertschätzung erfahren.«

Adam Grant plädiert deshalb gegen die Romulus-Methode und für die Befragung von Zielgruppen. Im Jahr 2009 hatten ihm die Gründer von Warby Parker vorgeschlagen, in ihr Unternehmen zu investieren. »Ich schlug das Angebot aus. Es war eine der größten Fehlentscheidungen meines Lebens. Und ich wollte verstehen, worin mein Irrtum bestand.«

Zunächst gab er seinen guten Augen die Schuld, die es ihm erschwerten, sich die Bedürfnisse von Brillenträger*innen vorzustellen. Doch schließlich erkannte er, dass es eher die mangelnde Weitsicht im übertragenen Sinne war, die ihn bremste. Die Feinde der Originalität seien nicht gute oder schlechte Augen, sondern eingefahrene Denkgewohnheiten. Dann wird nur noch der bereits bekannte Weg nach Rom beschritten.

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