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Zahlenverständnis

Die ersten Adventskalender stammen aus dem 19. Jahrhundert und dienten als Zählhilfe. Sie fingen entweder am ersten Dezember an oder am ersten Adventssonntag, zwei Ereignisse, die nur in einem von sieben Jahre zusammenfallen.

Inzwischen hat der kalendarische Adventskalender den kirchlichen verdrängt und bietet wahlweise Bilder, Geschenke, Bierdosen, Gedichte oder Schokoladenstücke. So vielfältig der Inhalt ist – an der Zahl 24 ändert sich nichts. Dennoch erweist sich die Adventszeit alle Jahre wieder als erstaunlich kurz, jedenfalls kürzer als erwartet. Das hängt sicherlich mit der Zeitwahrnehmung zusammen. In seinem Buch »Zeit: Der Stoff, aus dem das Leben ist. Eine Gebrauchsanleitung« schreibt der Physiker Stefan Klein: »Man kann darin eine bittere Ironie sehen, dass ausgerechnet die schönsten Stunden die kürzesten sind, während die gleiche Zeitspanne in unangenehmer Lage scheinbar nicht endet.«

Doch es gibt auch mathematische Gründe.

Schon bevor Kinder das Zählen lernen, werden sie mit Zahlen konfrontiert, die mit Gegenständen verknüpft sind und wie Namen wirken. Vielleicht wohnen sie in der Nummer 5, aber dort steht ein Haus und nicht fünf Häuser. Die Nachbarhäuser scheinen 3 und 7 zu heißen. Und am fünften Dezember darf ein Türchen mit der Nummer 5 geöffnet und nur eine Schokoladentafel gegessen werden, nicht fünf.

Wer jedoch ab dem fünften Dezember die Schokolade nicht sofort isst, sondern aufhebt, hat am neunten Dezember bereits 5 Tafeln. Wieso am neunten Dezember? 5 + 5 sind doch 10 und nicht 9?

Manchmal verhalten sich Zahlen anders als gedacht, nicht nur in der Vorweihnachtszeit. Wer vom fünften bis zum neunten Dezember verreisen möchte, muss 5 Tage Urlaub beantragen, obwohl 5 + 5 immer noch 10 sind und nicht 9.

Was macht die Zahlen so unberechenbar? Verwirrung entsteht, wenn Ordinalzahlen auf Kardinalzahlen treffen.

Wikipedia schreibt: »Ordinalzahlen sind mathematische Objekte, die das Konzept der Position oder des Index eines Elementes in einer Folge auf Wohlordnungen über beliebigen Mengen verallgemeinern.«

Ganz anders die Kardinalzahlen: »Kardinalzahlen (lat. numeri cardinales ›vorzügliche Zahlen‹, ›Hauptzahlen‹) sind in der Mathematik eine Verallgemeinerung der natürlichen Zahlen zur Beschreibung der Mächtigkeit (oder auch Kardinalität) von Mengen.«

Wohlordnung trifft auf Mächtigkeit – das kann ja nicht gutgehen, schon gar nicht vor Weihnachten. Die Konflikte sind quasi vorprogrammiert, wie bei den Weihnachtsfeiern mit unverträglichen Verwandten.

Zum Glück lässt sich der Unterschied auch einfacher erklären. Die Ordinalzahl antwortet auf die Frage »das wievielte?« (»Das wievielte Türchen darfst du heute öffnen?« »Das fünfte.«) und die Kardinalzahl auf die Frage »wie viele?« (»Wie viele Türchen sind es bis zum 24. Dezember?« »20 Türchen.«)

Da stimmt doch etwas nicht! Treibt hier etwa der gefürchtete »Fehler um eins« sein Unwesen? Beim Zählen wird jedem gezählten Schokoladenstück genau ein Zahlwort und damit ein Rangplatz zugeordnet (Ordinalaspekt). Doch dieses Zahlwort bezeichnet auch die Anzahl aller bis dahin gezählten Schokoladenstücke (Kardinalaspekt). Für das erfolgreiche Rechnenlernen kommt es auf ein kardinales Zahlenverständnis an, und hinter vielen Schwierigkeiten beim Rechnen steckt ein nicht-kardinales Zahlenverständnis: Die Zahl wird mit dem Rangplatz verwechselt.

Fünf ist dann das fünfte Türchen, zehn das zehnte Türchen und eine Aufgabe wie zehn minus fünf (das fünfte Türchen minus das zehnte Türchen) wirkt völlig unsinnig. Häufig vermischen sich die ordinale und die kardinale Zahlauffassung, denn dass zehn Schokoladenstücke besser sind als fünf, das weiß (fast) jedes Kind.

Werden Rechnungen mit einem ordinalen Zahlenverständnis zählend gelöst, kommt es häufig zum Fehler um eins. Dabei handelt es sich nicht um reines Verzählen, sondern um einen systematischen Fehler, weil unklar ist, ob die erste und die letzte Zahl mitgezählt werden sollen oder nicht:

5 + 5, sind das fünf, sechs, sieben, acht, neun… also 9? Oder (fünf), sechs, sieben, acht, neun, zehn, (elf)… also 11?

Und warum ist schon so bald Weihnachten? Die vier Adventssonntage suggerieren vier Adventswochen. Tatsächlich liegen jedoch nur drei Wochen zwischen der ersten und der vierten Adventskerze. Und wenn das fünfte Lichtlein brennt… dann war das wohl ein Fehler um eins.

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