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Überarbeitung

Wer am National Novel Writing Month teilnimmt, hält sich einen ganzen Monat in geschlossener Gesellschaft auf. Vielleicht in einer Schreibgruppe, aber ganz sicher zusammen mit den selbsterfundenen Romanfiguren. Chris Baty spricht vom »Post-NaNo-Blues«, wenn er sich zu Beginn jedes Dezembers von seinen Geschöpfen verabschieden muss, um in die Alltagswelt zurückzukehren. Er weiß dann nichts mit sich anzufangen und möchte eigentlich nur nachsehen, wie es seinen Figuren geht und womit sie sich beschäftigen.  

Doch irgendwann beginnt er wieder, sich auf den Alltag zu konzentrieren: Er geht einkaufen, spricht mit seinen Mitmenschen in ganzen Sätzen und stürzt sich auf all die Ablenkungen, denen er im November aus dem Weg gegangen ist. Nur sein Manuskript fasst er nicht an. Das verschafft ihm genügend Distanz, um schließlich den eigenen Text zu lesen, als wäre es ein fremder. Erst dann lässt sich die Frage beantworten, ob er sich gerne weiter damit beschäftigen möchte. Vielleicht war der NaNoWriMo eine anspruchsvolle dreißigtägige Schreibübung und nicht mehr? Oder lohnt es sich, den Entwurf zu überarbeiten?

Was während eines Monats aus dem Nichts entstanden ist, sieht vermutlich noch zu sperrig und unförmig aus, um sich damit aus dem Haus zu wagen. Die meisten Bücher, die es nicht nur nach draußen, sondern sogar in die Regale der Buchhandlungen geschafft haben, wurden nicht einmal, sondern mehrfach überarbeitet.

Im November feuert Chris Baty alle zur Geschwindigkeit an, die am National Novel Writing Month teilnehmen. Dann schwenkt er plötzlich um und rät zur Langsamkeit. Während im November keine Zeit für Perfektionismus war, ist er beim Editieren hochwillkommen.

Zuerst müssen all die überflüssigen Szenen verschwinden: Egal wie gelungen sie erscheinen – wenn sie nichts zur Handlung beitragen, sind sie entbehrlich. Aber sie sind doch so gelungen! Wer es nicht übers Herz bringt, kann ihnen eine neue Heimat erschaffen: Einen Zufluchtsort für streunende Texstellen. Ein Fundbüro für unbrauchbare Zitate. Vielleicht passen sie perfekt in die nächste Geschichte oder inspirieren sie sogar? Auch unter den Figuren können sich einige verstecken, die ihren Beitrag zur Handlung nicht leisten. Schreibbegeisterte hören oft den Spruch »Kill your darlings«, doch zum Glück verfügen Textverarbeitungsprogramme nicht nur über die gnadenlose Killer-Funktion »Entfernen«. Für Zartbesaitete steht auch das vorläufige »Ausschneiden« zur Wahl.

Die übriggebliebenen Figuren sollten ein eigenes Ziel haben, und selbst wenn sie es am Ende der Geschichte nicht erreichen konnten, haben sie sich auf interessante Art verändert. Wer kein Ziel hat, wird weggeschickt.

Erst wenn alles gestrichen oder verstaut ist, was nicht zur Handlung gehört, lohnt sich die Korrektur: Rechtschreibung, Grammatik, Zeichensetzung. Je perfektionistischer, desto besser. Schließlich kommen die Testleser*innen ins Spiel, die hoffentlich bei allem Perfektionismus das Loben nicht vergessen. Dann weisen sie freundlich darauf hin, dass der Eisbär gar nicht auf den Pinguin treffen kann, weil der eine am Nordpol lebt und der andere am Südpol. Wohl nicht aufgepasst damals in Erdkundeunterricht, was? Aber spannend sei die Geschichte dennoch.

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