unhör.bar

stille Kinder

Die neunjährige Susan freute sich aufs Ferienlager und packte neben Sandalen und Badeanzügen viele Bücher in ihren Koffer. Ihr Traum vom ruhigen Sommer am bewaldeten See fand ein lautes Ende: 

Das Ferienmotto lautete »R-O-W-D-I-E, LASST UNS ROWDIE WERDEN!«

Susan war verwirrt: »Ich war schon aufgeregt genug, im Ferienlager zu sein – wozu dann dieses Bedürfnis, auch noch Rowdy zu sein? Und warum sollten wir das Wort auch noch falsch buchstabieren? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Tapfer führte ich den Anfeuerungsruf aus – und nahm mir anschließend eine Auszeit, um eines meiner Bücher auszupacken und anzufangen zu lesen.«

Viele Jahre später schreibt Susan Cain selbst ein Buch: »Still. Die Kraft der Introvertierten«. Kinder, Jugendliche und Eltern fragten daraufhin nach einem Buch für junge Leute. »Still und stark. Die Kraft introvertierter Kinder und Jugendlicher« behandelt die Welt der Schule, Familie, Hobbys und enthält Kapitel wie »stille Freundschaften«, »stille Partys« und »Die Welt auf stille Art verändern«.  

Nicht nur im Ferienlager wird Lautstärke erwartet. Susan Cain zitiert einen Lehrer: »Ich steckte in der eingefahrenen Denkweise fest, dass introvertierte oder stille Schüler sozusagen verbessert werden müssen.« Doch dann fiel ihm auf: »Häufig ist es so, dass Schüler, die ständig plappern, sich nur gerne reden hören und eigentlich gar nicht wissen, worüber sie reden.« 

Deshalb können die Lauten und die Stillen von den Unterrichtsmethoden dieses Lehrers profitieren: »Er nannte ein Diskussionsthema, aber anstatt sofort Schüler aufzurufen, bat er sie, ihre Gedanken zu dem Thema niederzuschreiben. Nach der Schreibzeit bekamen die Schüler weitere Minuten, um zu lesen, was ihre Mitschüler geschrieben hatten und Kommentare anzufügen, wenn sie dazu etwas zu sagen hatten. Dann erst begann die Diskussion. Die Schüler hatten nun bereits über das Thema nachgedacht. Sie hatten etwas dazu aufgeschrieben und hatten gelesen, was andere dazu sagten, insofern war es keine abrupte Diskussion.«

Susan Cain plädiert für das, was Brian Little von der Harvard University als »Free Trait Theory« bezeichnet: Zwar werden die Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen geboren, doch können sie bei Bedarf neue Eigenschaften annehmen, um ihr Verhaltensrepertoire zu erweitern. Susan Cain spricht mittlerweile vor großen Gruppen, weil ihr das Thema stille Kinder und Erwachsene am Herzen liegt. »Überflüssig zu sagen, dass ich mich im Rampenlicht nicht immer so wohlgefühlt habe.«

In der 8. Klasse beteiligte sie sich aktiv am Unterricht, denn »ich war von vertrauten Gesichtern umgeben, daher fühlte ich mich wohler als sonst und meldete mich öfter zu Wort. Das Ergebnis war, dass meine Lehrerin keine Ahnung hatte, dass ich schüchtern war.« Sie wurde deshalb aufgefordert, spontan einen Sketch vor der Klasse vorzuführen. »Ich wurde knallrot. Ich bekam den Mund nicht auf. Ich fing an zu zittern und musst mich, zur Überraschung meiner Lehrerin, hinsetzen.«

Ihr fehlte in der Schule die Vorbereitungszeit, die sie als Erwachsene für ihre Auftritte vor Publikum einplant. »Erfolg hatte ich nicht, weil ich zum Reden vor Publikum geboren war. Ich hatte Erfolg, weil ich gut vorbereitet war – und gut vorbereitet war ich, weil ich das als Introvertierte einfach sein musste.« 

Diese Erkenntnis wäre ihr entgangen, wenn sie nach dem unangenehmen Erlebnis in der Schulzeit auf öffentliche Auftritte verzichtet hätte: »Heute weiß ich, dass es möglich ist, diese fast allergische Reaktion auf das Rampenlicht zu überwinden. Ich weiß sogar, dass meine introvertierte Art auf der Bühne ein Vorteil sein kann. Ich wünschte mir, ich hätte es damals schon gewusst.«

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