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Human Library

Der Neurowissenschaftler Henning Beck mag die Provokation. Für ihn ist sie jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Allheilmittel gegen das Denkmuster der Bequemlichkeit.

»So paradox es klingt, je mehr Verwirrung, desto besser das Verständnis.« Die sozialen Medien vernetzen Menschen, die einander ähnlich sind. Auch in der analogen Welt gesellt sich eher Gleich und Gleich als Verschieden und Verschieden. »Nicht die Medien sind das Problem, sondern dass wir in den Medien genau das ausleben, was wir ohnehin lieben: die Sehnsucht nach Bestätigung der eigenen Ansichten.«

Das Internet vermittelt die Illusion, alles zu finden und mit allen zu kommunizieren. Doch das weltweite Netz kann ziemlich eng werden: »Und ehe wir uns versehen, trainieren wir uns mithilfe neuer Medien zur Engstirnigkeit. Denn konsequent zu Ende gedacht, verlernen wir durch sie, Unterschiede und Grenzen unseres Wissens zu erkennen, zu testen und dadurch zu erweitern.«

Sogar Lesegewohnheiten werden beeinflusst: »Amazon schlägt die Bücher vor, die am besten zu unseren bisherigen Käufen passen.« Noch immer gibt es Bibliotheken mit vielfältigem Angebot und ganz ohne Algorithmus. Und seit über 20 Jahren existiert in Dänemark sogar eine Bibliothek, in der man Menschen mit einer besonderen Geschichte ausleihen kann.

Sie trägt den Namen »Menneskebiblioteket« und den Slogan »unjudge someone«. Die Idee schwappte in andere Länder über, und am 16. Juli 2022 konnten zum ersten Mal auch Besucher*innen der Stadtbibliothek Mannheim menschliche Bücher ausleihen.

Die Organisator*innen schreiben: »Das Einzigartige an der Human Library in Mannheim ist, dass vorab Hintergrundgespräche mit den beteiligten Bündnispartnerinnen des Mannheimer Bündnisses geführt wurden, um Expert*innenwissen über Vielfaltsaspekte einzuholen und Empfehlungen für ›Lebendige Bücher‹ zu erhalten. Die Human Library ist demnach tief verankert in den unterschiedlichsten Communities in Mannheim.«

Die Regeln waren einfach: Gegenseitiger Respekt, Neugier und die Freiheit, Fragen nicht zu beantworten oder das Gespräch zu beenden. So trafen sich am Samstagvormittag die Lesenden mit ihren Büchern erwartungsvoll und ein bisschen nervös zu ihrem halbstündigen Austausch. Die zweite und dritte Leserunde wirkte schon routinierter und an allen Tischen wurde angeregt ent-urteilt.

»Unsicherheit ist der wichtigste Nährboden für erfolgreiche Wissensvermittlung,« schreibt Henning Beck. »Je unsicherer man ist, desto besser versteht man.«

Wir freuen uns auf Anregung und Empfehlungen von Lehrenden und Lernenden (wer ist das nicht?!) per Mail oder einfach hier im Kommentarfeld.

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