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Arbeit und Vergnügen

Kaum ein Autor hat die Wechselwirkung zwischen Belohnung und Motivation so anschaulich beschrieben wie Mark Twain in den »Abenteuern des Tom Sawyer«. Tom wird von seiner Tante Polly dazu verdonnert, zur Strafe fürs Schuleschwänzen den Gartenzaun zu streichen. Seine Habseligkeiten reichen nicht aus, um seine Freunde zu bestechen, ihm diese lästige Arbeit abzunehmen. Deshalb tut er so, als sei es ein besonderes Privileg, am Samstagmorgen dreißig Meter Zaun zu streichen. Dadurch erreicht er, dass sich seine Schulfreunde mit Begeisterung um die Tätigkeit reißen, die eigentlich als Strafe gedacht war. Sie erkaufen sich bei Tom nacheinander das Recht, den Zaun weiterzustreichen, bis die Farbe zu Ende geht, »sonst hätte er unfehlbar sämtliche Jungen im Städtchen Bankrott gemacht.«

Mark Twain schrieb: »Wäre Tom ein tiefgründiger Philosoph gewesen, wie zum Beispiel der Verfasser dieses Buches, so hätte er daraus gelernt, dass man unter ›Arbeit‹ alles versteht, was man tun muss, dagegen unter ›Vergnügen‹ das, was man aus freien Stücken unternimmt.«

Wenn aber ein und dieselbe Tätigkeit Strafe wie auch Belohnung sein kann, weshalb wählte Toms Tante Polly ausgerechnet das Streichen des Gartenzauns als Strafe für Tom aus? Es wäre ihr wohl kaum in den Sinn gekommen, Tom zur Strafe den Zaun nach eigenen Vorstellungen mit bunten Farben gestalten zu lassen, denn die Arbeit sollte ihm ja keine Freude bereiten. Und schöpferische Aufgaben sind üblicherweise attraktiver als Routinetätigkeiten.

Deshalb gilt das eintönige Abschreiben des immer gleichen Satzes als klassische Strafarbeit. Aber gehört das nicht längst der Vergangenheit an? Wurden in der modernen Pädagogik nicht Strafen durch Belohnungen für positives Verhalten ersetzt?

Der Managementberater Reinhard Sprenger ist anders als Tom Sawyer tatsächlich Philosoph. Und auch er lässt das Thema Motivation in einem anderen Licht erscheinen. Er vertritt den Standpunkt, dass Belohnung und Bestrafung keineswegs Gegensätze sind, wie oft behauptet wird, sondern zwei Seiten einer Medaille: Belohnung erzeugt die Erwartung, in einer vergleichbaren Situation wieder belohnt zu werden. Bleibt die Belohnung aus, so wird das wie eine Strafe erlebt. Hat sich also doch nicht so viel geändert?

In seinem Buch »Mythos Motivation« zweifelt Reinhard Sprenger an der Wirksamkeit von Motivation durch Belohnung. Zwar kann durch geeignete Belohnungen das Verhalten von Kindern und auch von Erwachsenen tatsächlich beeinflusst werden. Sprenger nennt aber als Nachteil:

Wer eine Belohnung für sein Tun erwartet, erlebe die Aufgabe selbst als Hindernis, das zwischen ihm und der Belohnung steht, als notwendiges Übel. Es gehe dann nicht mehr um die Aufgabe selbst, sondern darum, das Hindernis möglichst schnell zu beseitigen. »›Tu dies, dann bekommst du das‹ konzentriert die Menschen auf ›das‹ statt auf ›dies‹.«

Wieder dient Tom Sawyer als Beispiel: Angenommen er hat seine Strafe verbüßt und darf nun tun, was er will. Da er gerne malt, holt er sich Papier und Stifte und malt ein Bild. Vermutlich tut er dies mit mehr Engagement als er beim Streichen des Gartenzauns zeigen würde. Was würde aber passieren, wenn er für jedes fertiggestellte Bild Geld erhielte? Möglicherweise würde sich die Anzahl seiner Bilder erhöhen. Aber gilt das auch für die Qualität? Und wie würde sich seine Freude am Malen verändern?

Der sogenannte Korrumpierungseffekt ist umstritten: Wird Motivation durch Belohnungen tatsächlich untergraben? Die folgende Geschichte stammt vom amerikanischen Sozialpsychologen Alfie Kohn: »Ein alter Mann wurde täglich von den Nachbarskindern gehänselt und beschimpft. Eines Tages griff er zu einer List. Er bot den Kindern einen Dollar an, wenn sie am nächsten Tag wiederkämen und ihre Beschimpfungen wiederholten. Die Kinder kamen, ärgerten ihn und holten sich dafür einen Dollar ab. Und wieder versprach der alte Mann: ›Wenn ihr morgen wiederkommt, dann gebe ich euch 50 Cent.‹ Und wieder kamen die Kinder und beschimpften ihn gegen Bezahlung. Als der alte Mann sie aufforderte, ihn auch am nächsten Tag, diesmal allerdings gegen 20 Cent zu ärgern, empörten sich die Kinder: Für so wenig Geld wollten sie ihn nicht beschimpfen. Von da an hatte der alte Mann seine Ruhe.«

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