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Argumente

Der Lehrplan für das Fach Deutsch nennt erhabene Ziele: »Gesprächsbeiträge anderer bei den eigenen Überlegungen und Äußerungen berücksichtigen, abweichende Meinungen akzeptieren und tolerieren«. Zu diesem Zweck soll die »Fähigkeit zur methodenbewussten, sach- und fachterminologisch korrekten, situationsangemessenen Argumentation und Darstellung« entwickelt werden.

Wer also am sach- und fachterminologisch korrektesten argumentiert, gewinnt die Diskussion? Was aber, wenn das Gegenüber gar nicht daran denkt, die Gesprächsbeiträge anderer zu berücksichtigen und abweichende Meinungen zu akzeptieren und zu tolerieren?

Der Autor Peter Modler wählte für sein Buch »Mit Ignoranten sprechen« den beunruhigenden Untertitel »Wer nur argumentiert, verliert«. Er belegt diese Behauptung – situationsangemessen – mit alltäglichen Interaktionen ebenso wie mit spektakulären Beispielen aus der Weltpolitik. Ignorant*innen definiert er als »Menschen, die in Diskursen bewusst und gezielt statt auf begründende Worte auf andere Kommunikationsmittel setzen«. Beobachten ließ sich das bei den Präsidentschaftsdebatten im Jahr 2016.

Der Kandidatin Hillary Clinton bescheinigt Peter Modler den Fleiß einer Musterschülerin und nennt sie ein »intellektuelles Eichhörnchen, das fleißig seine Argumentationsnüsschen sammelt und voller Stolz auf den schönen Vorrat den Wald betritt.« Und ihr Kontrahent? Donald Trump sagt einfach: »Falsch«. Hillary Clinton präsentiert weitere Argumentationsnüsschen und Donald Trump sagt wieder: »Falsch«. Noch mehr Argumente. Und Donald Trump? Erraten: »Falsch«.

Zur Relevanz dieser Debatten schreibt Peter Modler: »Wenn Hillary Clinton von Donald Trump in einer öffentlichen Auseinandersetzung abserviert wird, dann kann ich natürlich einerseits über den Charakter Trumps herziehen, mich über seine politischen Inhalte aufregen und ihn als Brechmittel empfinden. Das ist ganz leicht und bringt mir schnellen Applaus ein. Andererseits könnte ich auch mal meinen Job als Intellektueller machen und mir bis ins Detail ansehen, mit welchen Mitteln es einem Nicht-Argumentierer gelingt, eine argumentationsstarke Gegnerin technisch erfolgreich zu treffen und zu lähmen.«

Der Schriftsteller Hans Kasper warnt: »Mit Fanatikern zu diskutieren heißt, mit einer gegnerischen Mannschaft Tauziehen spielen, die ihr Seilende um einen dicken Baum geschlungen hat.« Oder drastischer ausgedrückt: »Mit dummen Menschen zu streiten, ist wie mit einer Taube Schach zu spielen. Egal, wie gut du Schach spielst, die Taube wird alle Figuren umwerfen, auf das Brett kacken und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen.« Umstritten ist, von wem dieses Zitat stammt. Unumstritten dagegen ist die Erkenntnis, dass die besten Schachspieler*innen keine Chance gegen Tauben oder Menschen haben, die sich nicht an die Spielregeln halten.

Donald Trump stolzierte nicht nur herum, als hätte er gewonnen, sondern er gewann anschließend tatsächlich die Präsidentschaftswahl gegen die Musterschülerin Hillary Clinton.

Peter Modler nennt neben den drei Debatten weitere mögliche Gründe: »Das Wahlergebnis an sich soll uns auch gar nicht weiter interessieren. Für uns relevant ist nur das, was da paradigmatisch vor aller Augen während dieser drei Debatten geschah. Und was all die Clintons da draußen gegenüber den vielen Trumps hätten besser machen können.« Es reiche nicht, die Kunst der Ignoranz zu ignorieren:

»Wenn wir gegen die rhetorischen Taktiken von Ignoranten eine Chance haben wollen, dann müssen wir uns die Mühe machen, ihr Vorgehen zu entschlüsseln: die handwerkliche Perfektion, mit der kommunikative Tools eingesetzt werden, die sämtliche Regeln auf den Kopf stellen, die wir in Schule und Universität gelernt haben, aber enorme Effekte haben können. Argumente spielen dabei eine auffallend geringe Rolle. Die Kriterien des guten alten Besinnungsaufsatzes – einige Gründe darstellen, dann die Gründe der anderen Position, dann eine Synthese? Praktisch obsolet.«

Donald Trump argumentiert methodenbewusst? Falsch.
Er argumentiert sach- und fachterminologisch korrekt? Falsch.
Er argumentiert situationsangemessen? Falsch.

Offensichtlich hat er nicht gelernt, Gesprächsbeiträge anderer bei den eigenen Überlegungen und Äußerungen zu berücksichtigen, abweichende Meinungen zu akzeptieren und zu tolerieren. Also hat er das Klassenziel verfehlt.

Ob er trotzdem oder gerade deshalb zum Präsidenten gewählt wurde, darüber lässt sich argumentieren. Methodenbewusst, sach- und fachterminologisch korrekt und situationsangemessen.

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