unerreich.bar

Misserfolge

Tendenziell reagieren Mädchen und Jungen unterschiedlich auf Misserfolge. Carol Dweck demonstrierte das durch ein listiges Experiment. Sie gab Viertklässlern unlösbare Anagramme und fragte anschließend scheinheilig, weshalb sie die Lösung nicht finden konnten.

Die Erklärungen der Mädchen waren eher statisch (»Ich bin in Wortspielen nicht gut«, »Ich glaube, ich bin nicht besonders gescheit«), die der Jungen eher dynamisch (»Ich habe mich nicht besonders angestrengt«, »Wen interessieren diese doofen Rätsel schon?«).

Die Aussagen der Jungen erinnern an eine weitere griechische Fabel: Ein Fuchs behauptet, die unerreichbaren Trauben wären ihm zu sauer, er habe sich nicht besonders angestrengt, wen interessieren diese doofen Trauben schon? Also ein klassischer Fall von Selbstbetrug. Allerdings erkannten die Mädchen ebenso wenig wie die Jungen, dass es keine Lösung gab. Die Mädchen scheiterten nicht, weil sie dumm waren, und die Jungen hätten die Aufgaben auch dann nicht lösen können, wenn sie sich mehr ins Zeug gelegt hätten.

Unzutreffend sind also beide Erklärungsmuster. Weder die optimistische, noch die pessimistische Einschätzung entspricht der Realität. Die Folgen unterscheiden sich jedoch: Scheinbar unveränderliche Misserfolge rauben den Mut und die Hoffnung für die Zukunft. Werden sie außerdem als umfassend angesehen, so überträgt sich die Hoffnungslosigkeit auf Bereiche, die mit dem Misserfolg gar nichts zu tun haben. Auch wer in Wortspielen nicht gut ist, kann ja erfolgreich durchs Leben kommen. Durch die Übertreibung des Geltungsbereichs (»Ich bin nicht besonders gescheit«) wird ein folgenschweres Versagen daraus.

In der Fabel vom Fuchs bleibt ungewiss, ob die Trauben nicht tatsächlich sauer waren. Der Fuchs überprüft seine Behauptung nicht. Wer sich einredet, die unzugänglichen Trauben seien besonders süß, idealisiert damit das Unerreichbare und dramatisiert den eigenen Misserfolg. Die Erklärungsversuche sind zwar gegensätzlich (»Die Trauben sind bestimmt so sauer, dass ich sie gar nicht erreichen will« versus »Ich will die Trauben unbedingt erreichen, weil sie bestimmt besonders süß sind«), aber beide sind gleichermaßen einseitig und hypothetisch.

Vor allem helfen diese Spekulationen dem Fuchs überhaupt nicht, die Trauben zu erreichen, sondern der Misserfolg wird als unveränderbar hingenommen. Möglicherweise ist er das sogar, doch der Fuchs begnügt sich damit, die Trauben abzuwerten, anstatt nach Lösungen zu suchen. Er erbittet weder Unterstützung von anderen Füchsen, noch kommt er auf die Idee, durch Training oder Hilfsmittel seine Reichweite zu vergrößern (»Die Fabel vom Fuchs und der Mehrzweckleiter«). Für einen begeisterten Traubenesser wäre das eine lohnende Investition in seine kulinarische Zukunft.

Seine Größe kann der Fuchs nicht verändern. Doch auf der Leiter spielt die Körpergröße kaum noch eine Rolle. Dann kommt es eher auf Klettertechniken und Trittsicherheit an, die erlernbar sind.

Und die Moral zum Mitnehmen? Carol Dweck verspricht: »Auch wenn wir uns in tausenderlei Hinsicht, in Talenten, Eignungen, Interessen oder dem Temperament noch so sehr unterscheiden, wir alle können uns durch Einsatz und Erfahrung verändern und entwickeln.«

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