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Wahrscheinlichkeit

Wortspiele lassen sich nicht leicht übersetzen.

»I just realized why this month is called May: It may rain, it may snow, it may be 70 degrees, it may be 20 degrees…« Aber ein Blick aus dem Fenster reicht, um eine gewisse Unbeständigkeit des Maiwetters festzustellen.

Beim Wetter geht es um Wahrscheinlichkeitsrechnung, und die kann in die Irre locken. Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung warnt in seinem Buch »Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken« vor dieser Gefahr und illustriert sie mit einer fragwürdigen Wetterprognose:

»Im Wetterbericht eines US-Fernsehsenders hieß es einmal, dass für Samstag die Regenwahrscheinlichkeit 50 Prozent betrage und die für Sonntag ebenfalls 50 Prozent. Der Meteorologe erklärte den Zuschauern abschließend, die Regenwahrscheinlichkeit für das kommende Wochenende betrage daher 100 Prozent.« Für das verlängerte Pfingstwochenende betrüge die Regenwahrscheinlichkeit nach dieser Logik dann also 150 Prozent. Der aktuelle Wolkenbruch wirkt tatsächlich so ehrgeizig, als habe er die 150 Prozent als Zielvorgabe akzeptiert.

Bis zum Mittelalter schien es unmöglich, die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Ereignissen zu beziffern. »Die Zukunft liege allein in Gottes Hand, so der Glaube der Menschen. Das Kommende würde geschehen, und keiner könne den Lauf des Schicksals aufhalten. Man müsse beten und sich dem allmächtigen Weltenlenker anbefehlen.« So beschreibt der Mathematiker Keith Devlin in dem Buch »Pascal, Fermat und die Berechnung des Glücks. Eine Reise in die Geschichte der Mathematik« die Geisteshaltung bis zum bahnbrechenden Briefwechsel zwischen Blaise Pascal und Pierre Fermat. Der Grundstein für die Wahrscheinlichkeitsrechnung wurde mit dem schriftlichen Austausch der beiden über ein Glücksspiel gelegt.

Gerade beim Glücksspiel gedeiht der Aberglaube, und Würfel wirken wie durchtriebene kleine Halunken, wenn wieder einmal genau die Augenzahl auf sich warten lässt, die gebraucht wird. Selbst der Mathematiker Albrecht Beutelspacher argwöhnt: »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Wenn ich beim ›Mensch ärgere dich nicht‹ unbedingt eine Sechs brauche, dann kommt keine. Andere Zahlen zuhauf, aber keine Sechs. Nach einigen Würfen denke ich: ›Jetzt müsste eigentlich wieder mal eine Sechs kommen. Nach einer so langen Serie ohne Sechs müsste doch endlich die Sechs an der Reihe sein.‹«

Natürlich weiß er: »Alles falsch! Wie immer der Würfel aussieht, aus welchem Material er besteht, wie kunstvoll er gefertigt ist – er ist strohdumm und hat insbesondere kein Gedächtnis.« Aber einen schlechten Charakter hat der Würfel vielleicht doch?

Beim Lotto könnten nacheinander die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5 und 6 gezogen werden, ohne dass Betrug im Spiel wäre. Und beim Würfeln weichen die Ergebnisse im Einzelfall von den berechneten Wahrscheinlichkeiten ab. Was bringt also die Wahrscheinlichkeitsrechnung, wenn doch alles anders kommt? Sie ermöglicht im Voraus zu erkennen, ob ein Spiel fair ist, ob also die Gewinnchancen gleich verteilt sind.

Das lässt sich mit einem relativ überschaubaren Spiel veranschaulichen: Vier charakterlich unauffällige Holzwürfel sind mit den Ziffern 1, 2, 3 und 4 beschriftet, also zwei gerade und zwei ungerade Ziffern. Davon werden zwei gezogen. Wenn entweder beide gerade oder beide ungerade sind, hat Gloria gewonnen (gleich). Ist eine Zahl gerade und die andere ungerade, dann ist Vera die Siegerin (verschieden). Wer hat bessere Chancen?

Gloria, weil sie zwei Möglichkeiten hat zu gewinnen (gg oder uu), während Vera nur in einem Fall (gu) gewinnt?

Oder haben beide die gleichen Chancen, weil Gloria bei gg oder uu gewinnt und Vera bei gu oder ug?

Wer das Spiel ausprobiert und nicht besonders parteiische Würfel erwischt, wundert sich vielleicht, dass Vera viel häufiger gewinnt als Gloria. Das lässt sich nicht nur ausrechnen, sondern auch anschaulich darstellen: Es gibt zwölf gleichberechtigte Kombinationsmöglichkeiten:

1 und 2 – Vera gewinnt
1 und 3 – Gloria gewinnt
1 und 4 – Vera gewinnt
2 und 1 – Vera gewinnt
2 und 3 – Vera gewinnt
2 und 4 – Gloria gewinnt
3 und 1 – Gloria gewinnt
3 und 2 – Vera gewinnt
3 und 4 – Vera gewinnt
4 und 1 – Vera gewinnt
4 und 2 – Gloria gewinnt
4 und 3 – Vera gewinnt

Vera gewinnt in 8 Fällen, Gloria in 4 Fällen. Veras Gewinnchancen sind also doppelt so groß, selbst wenn die Würfel nichts gegen Gloria haben. Und der Donnergott hat keine besondere Vorliebe für Sonn- und Feiertagsarbeit, auch wenn verregnete Wochenenden nach sonnigen Werktagen das vermuten lassen.

Be that as it may.

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