ablenk.bar

NaNoWriMo Tag 24

Eine interessante Frage zum Schreiben in krisenhaften Zeiten:

»Und was kann man tun, wenn man es gar nicht erst bis zum Schreibtisch schafft, weil einen der krisenhafte Alltag Tag für Tag wie eine Zunamiwelle überrollt? Stoisch warten, bis die Wellen sich gelegt haben und der Weg zum Schreibtisch wieder frei ist?«

Eigentlich gehört der erste Teil der Antwort in die Kategorie »berechen.bar«, denn es handelt sich um eine exakte Rechnung. Frauke Niehues bietet Mitarbeiter*innen der Universität Gießen Einzelcoachings zum Thema Prokrastination an. Manchmal stellt sich jedoch heraus, dass jemand gar nicht aufschiebt, sondern das Zeitbudget für die Aufgaben überhaupt nicht ausreichen kann, auch nicht mit dem besten Zeitmanagement. 

Zeit ist ja ungefähr so unbestechlich wie Geld. Niemand würde sagen: »Zwar habe ich mein Budget schon bis zum letzten Cent verplant, aber ich quetsche noch einige Euro dazwischen.« Trotzdem sprechen Menschen ernsthaft davon, einen Termin »dazwischenzuquetschen«. Zeit hat zwar ganz erstaunliche Eigenschaften, aber quetschen lässt sie sich nicht. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Zeit ist addierbar. 

James N. Frey stellt eine ermutigende »Arithmetik des Romanschreibens« auf: »Die Zahlen sind auf Ihrer Seite. Angenommen Sie haben einen Beruf, acht schreckliche Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Drei Stunden Fahrtzeit hin und zurück, eine Stunde Mittagspause… Wenn Sie unentwegt dran bleiben, schreiben Sie wenigstens zwei Seiten Rohfassung pro Stunde. Eine Schnecke kann zwei Seiten pro Stunde schreiben. Es dauert einen Monat mit vierzig Seiten pro Woche, um 172 Seiten Biographien und Stufendiagramm zu schreiben (2 Seiten pro Stunde x 20 Stunden pro Woche x 4,3 Wochen = 172). Jetzt schreiben Sie Ihre erste Fassung. Angenommen, es wird ein Buch von 400 Seiten. Die erste Fassung wird zehn Wochen brauche (2 Seiten pro Stunde x 20 Stunden pro Woche x 10 Wochen = 400). Sie haben die Biographien, das Stufendiagramm und die erste Fassung in 14,3 Wochen fertig. Jetzt schreiben Sie die zweite Fassung: zehn weitere Wochen. Dann eine dritte Fassung: noch zehn Wochen. Nach 34,4 Wochen sind Sie soweit, dass Sie mit dem letzten Schliff beginnen können. Sie wollen es perfekt machen, also nehmen Sie sich dafür zwei Monate bzw. 8,6 Wochen, macht zusammen 42,9 Wochen. Jetzt bleiben Ihnen noch 9,1 Wochen im Jahr, um auf Hawaii Urlaub zu machen.«

Auch Perfektionist*innen können schon mal ihren Urlaub auf Hawaii buchen: Sie schreiben zwar langsamer, benötigen aber zum Ausgleich weniger Zeit fürs Umschreiben. 

Es existieren also mindestens zwei entgegengesetzte Fehleinschätzungen: »Mir fehlt die Selbstdisziplin, um regelmäßig zu schreiben« (wenn tatsächlich die Zeit fehlt) und »Mir fehlt die Zeit, um regelmäßig zu schreiben« (wenn tatsächlich die Selbstdisziplin fehlt).

In der Episode »The Focus Attenuation« der Serie »The Big Bang Theory« ziehen sich vier Wissenschaftler für ein Wochenende zum ungestörten Arbeiten zurück. Um sich besser zu fokussieren, verwenden sie Verhaltensmodifikationen. Als einer von ihnen erwähnt, dass man damit Tauben das Tischtennisspielen beibringen kann, nutzen sie die ungestörte Zeit dazu, auf Youtube Tauben beim Tischtennisspielen zu beobachten. Wer gerade ein wichtiges Projekt aufschieben möchte, kann hier die Wissenschaftler dabei beobachten, wie sie Tauben beim Tischtennisspielen beobachten.

Wenn Zeit fehlt, helfen auch die besten Schreibtricks nicht, höchstens der magische Zeitumkehrer von Harry Potters emsiger Mitschülerin Hermione Granger.

Aber den bekommt man nur von Professor Dumbledore. Und jetzt?

Fortsetzung folgt…

3 Kommentare zu “ablenk.bar

  • Der Hinweis zu den unterschiedlichen Arten der fehlerhaften Selbsteinschätzungung: sehr erhellend!💡 Danke. Bin gespannt auf die Fortsetzung…

    Ich denke schonmal weiter: Wenn ein Autor also begriffen hat, dass es ihm anscheinend tatsächlich an Zeit und nicht an Selbstdisziplin mangelt, sollte er schleunigst sein Bullet Diary zur Hand nehmen (das er hoffentlich besitzt☝️) und analysieren, wo die Zeitfresser versteckt sind bzw. was da eigentlich soviel länger dauert als vermutet, so dass zum Schreiben keine Zeit mehr bleibt. Fortsetzung dazu folgt von mir…😊

  • Nach Durchsicht meines Bullet Journals fällt mir auf: So einfach scheint es mit der Zeitrechnung nicht zu sein, denn es gibt Termine und Tätigkeiten, die einen gefühlsmäßig viel länger beanspruchen, als sie faktisch dauern. Wenn ich einkaufen muss und das eine Stunde dauert, ist es danach abgehakt und ich kann mich dann, wenn nichts anderes ansteht, dem Schreiben widmen. Wenn ich allerdings zu der Beerdigung eines vertrauten Menschen muss, werde ich danach vielleicht nicht sofort wieder in der Verfassung sein, etwas zu schreiben. Und ein Brotjob mag zwar „nur“ 8 Stunden täglich dauern, wenn ich allerdings einen cholerischen Chef habe, werde ich danach etv zumindest eine Pause brauchen, bevor ich wieder Energie zum Schreiben aufbringen kann…

    • Genau deshalb finde ich es so wichtig, für sich zu klären, worum es geht: Selbstmanagementkompetenz? Oder Emotionsregulationskompetenz? Da sie so komplex ist, wie sie klingt, wird häufig der Fokus lieber auf das schlichtere Zeitmanagement gelegt. Aber wenn gar nicht die Zeit das Problem ist, dann bringt das wenig. Umgekehrt nützen die tollsten Kompetenzen nicht, wenn einfach rein rechnerisch die Zeit fehlt.

Wir freuen uns auf Anregung und Empfehlungen von Lehrenden und Lernenden (wer ist das nicht?!) per Mail oder einfach hier im Kommentarfeld.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert