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selektive Aufmerksamkeit
Wer am Rosenmontag einen Clown entdeckt, wundert sich kaum darüber. Eine Woche später ist ein solches Ereignis schon ungewöhnlicher. Wenn ein Clown auf einem Einrad über den Campus einer Universität radelt, dann sollte dieser Anblick großes Aufsehen erregen. Doch als der Psychologe Ira Hyman seine Studierenden an der Western Washington University befragte, hatten viele den Clown gar nicht bemerkt. Von den Handynutzer*innen waren es 92 Prozent.
Bei der sogenannten »Unaufmerksamkeitsblindheit« (inattentional blindness) handelt es sich nicht um eine Sehstörung. Ein bekanntes Experiment zur selektiven Aufmerksamkeit handelt von einem unbemerkten Gorilla: Die Versuchspersonen sollen ein Basketballspiel beobachten und die Ballwechsel zählen. Nur der Hälfte fiel dabei die Person im Gorillakostüm auf, die langsam über das Spielfeld lief.
Neben der Unaufmerksamkeitsblindheit gibt es auch die Unaufmerksamkeitstaubheit. Im Alltag ist es häufig sinnvoll, Störgeräusche auszublenden. Der Gehirnforscher Volker Busch schreibt: »Das Relevante auszuwählen und die eigene Aufmerksamkeit auf das Wichtige auszurichten, ist wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen kognitiven Steuerung. Das schützt uns einerseits vor Informationsüberladung und bringt uns andererseits unseren Zielen näher. Je reizdurchfluteter die Welt wird, desto wichtiger wird die Kunst der Selektion. Die bewusste Lenkung unserer Aufmerksamkeit ist kein passiver Prozess, sondern unterliegt der Selbstregulation.«
Nur wenn Reize intensiv wahrgenommen und verarbeitet werden, können sie im Gedächtnis bleiben. Als Positivbeispiel nennt Volker Busch den Schriftsteller Charles Dickens, der über die Missstände der englischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert schrieb. Täglich verbrachte er eine Stunde in einem Café und beobachtete die Menschen um ihn herum. »Er nahm aufmerksam wahr, was er sah und hörte, und speicherte die gewonnenen Eindrücke sorgfältig ab. Er erinnerte sich noch Wochen später an Kleinigkeiten, die er beobachtet hatte. Das ermöglichte ihm, das Londoner Millieu detailgetreu zu schildern, und er schuf auf diese Weise lebendige Figuren und Geschichten, mit denen sich seine Leser identifizieren konnten.« Ein Clown auf einem Einrad oder ein Gorilla wären ihm sicherlich nicht entgangen.