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Überarbeitung

Beim Schreiben ist Kreativität gefragt. Sprachliche und inhaltliche Details kommen erst beim Überarbeiten ins Spiel. Der Versuch, einen fehlerfreien ersten Entwurf zu schreiben, führt eher zu Frustration und Schreibblockaden. Axel Hollmann und Marcus Johanus vergleichen den Prozess des Schreibens und Überarbeitens mit der bildenden Kunst: »Bildhauer klatschen zunächst eine Menge Ton zu einem unförmigen Haufen zusammen oder schlagen grobe Stücke aus einem Marmorblock. Erst danach greifen sie zu  Spachtel, Feile und Sandpapier, um damit feine Linien und glatte Formen aus dem Material herauszuarbeiten, die die eigentliche Schönheit des Kunstwerks ergeben. So ist das beim Schreiben auch. Ihr erster Entwurf ist sozusagen Ihr Tonklumpen oder Ihr grob behauener Marmorblock.«

Der Text wird von Tag zu Tag immer besser. Doch das Überarbeiten ist nicht einfach: »Ein Manuskript zu überarbeiten ist unter anderem deswegen so schwer, weil ein Text, nachdem Sie ihn beendet haben, in Ihrem Bewusstsein als ›fertig‹ abgespeichert wird. Niemand arbeitet gerne an etwas, das fertig ist.« Der Autor Robert Stone zweifelte daran, dass das bei den eigenen Texten überhaupt möglich ist: »Überarbeiten ist wie sich selbst die Haare schneiden.« Auch Benedict Wells plädiert für den fremden Blick und würde »bei jedem Buch die Hälfte des Vorschusses weggeben, wenn ich es nur einmal so lesen könnte, als wäre es nicht von mir. Sofort würde mir ins Auge springen, welches Kapitel langweilt, wo die Grenze zum Kitsch übertreten wird, ob eine Figur funktioniert. Nur: Es geht nicht.« Er plädiert für Testleser*innen, und auch Axel Hollmann und Marcus Johanus raten: »Selbst wenn Sie keinen Agenten haben, Sie keine Fortbildungen besuchen, Sie zu scheu für Schreibgruppen sind und sich ein Lektorat nicht leisten wollen oder können: Verzichten Sie nicht auf Testleser. Auf keinen Fall!«

Sie unterscheiden zwischen Alpha- und Betaleser*innen: »Alphaleser sind Menschen, die mit künstlerischen Schaffensprozessen vertraut sind. Am besten wäre es, wenn es sich um Autoren wie Sie handeln würde, doch das muss nicht sein. Alphaleser wissen, dass ein Werk nicht im ersten Anlauf gelingt. Sie schauen sich Ihr Manuskript in einem sehr frühen Stadium an, können sein Potenzial erkennen und Sie dabei beraten, welche Aspekte Ihres Projekts Sie weiterverfolgen sollten und welche eher nicht. Betaleser entsprechen Ihrem Zielpublikum.« Die beiden werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiv: »Alphalesern können Sie Ihr Manuskript eigentlich kaum früh genug zeigen. Gerade in Schreibgruppen werden häufig auch schon die Ideen oder nur grobe Skizzen eines Projekts besprochen. Der ideale Zeitpunkt, um Betaentwürfe herumzuschicken, ist kurz vor dem Lektorat – wenn Sie denn eines in Anspruch nehmen. Verzichten Sie auf ein Lektorat, benötigen Sie wirklich dringend Betaleser. Mit ihrem Feedback erfahren Sie, ob Sie den Nerv Ihres Zielpublikums getroffen haben. Wenn Sie also das erste Mal glauben, dass Ihr Roman fertig ist, dann sollten Sie sich Betaleser suchen. Diese werden Sie eines Besseren belehren.«