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Präsentation
Die Fünftklässlerin hat keine Scheu vor der Kamera. In der ZDF-Reportage »37 Grad« erzählt sie: »Ich heiße Pia, und als ich erfahren habe, dass ich Lese-Rechtschreib-Schwäche habe, habe ich geweint und gedacht, dass ich gar nichts gut oder einfach gar nichts kann.« Es gelingt ihr, die Schwierigkeiten anschaulich zu beschreiben: »Wenn ich lese, sind das für mich auf den ersten Blick erstmal nur Buchstaben, und wenn ich das dann soweit geschafft habe, dass ich die in meinem Kopf zu einem sinnvollen Wort zusammengewürfelt habe, dann fällt es mir schwer, das auszusprechen.«
Das hält sie nicht von ihrem Wunsch ab, ein Buch zu schreiben. »Ich schreibe eine Geschichte trotzdem, weil mir nur das Aufs-Papier-Bringen schwer fällt. Aber ich habe so viele Ideen im Kopf, die einfach rausmüssen.« Die Deutschlehrerin macht einen Vorschlag: Pia kann ein Kapitel ihrer Geschichte der Klasse vorlesen – wenn sie möchte. Da sie ihre Geschichte gut präsentieren will, bereitet sie sich intensiv vor: »Mich macht das Lesen vor der Klasse nervös, weil ich weiß, dass ich nicht gerade die Beste im Lesen bin, und das möchte ich nicht gerne zeigen. Wenn ich gefragt werde, ob ich etwas vorlesen will und das so plötzlich kommt, dann sage ich lieber nein, weil ich da jetzt nicht als Dumme dastehen will.« Viele Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche fürchten sich vor dem lauten Vorlesen, doch es ist eine gute Gelegenheit zum Üben. In seinem Programm »Ich schaffs« schreibt der Psychotherapeut Ben Furman »Am besten übt man eine Fähigkeit durch Üben.«
Silvia Herdeg und Adrian Tuchschmid geben den Teilnehmenden ihrer Kurse für lese- und schreibungewohnten Menschen die Gelegenheit, eigene Geschichten zu schreiben, die von der Kursleitung abgetippt werden. »Am folgenden Kurstreffen werden alle getippten Texte an alle Kursteilnehmenden verteilt. Anschließend erhalten sie die Möglichkeit, ihre Geschichte vorzubereiten.« Daraus wird häufig ein unerwartetes Erfolgserlebnis. »Für viele ist es wesentlich leichter, einen eigenen Text laut vorzulesen als einen fremden. Selbstverständlich darf man niemanden zum öffentlichen Vorlesen zwingen. Aber es macht Spaß, die eigenen schriftlichen Anstrengungen in korrekter und eindrucksvoller Form vor sich und den anderen zu sehen.« Auch Pia ist positiv überrascht und stolz auf ihren Mut: »Als ich noch vor einem Jahr auf dem Sofa lag und geweint habe, da hätte ich mir das nie vorgestellt, dass ich irgendwann mal eine Geschichte schreibe, die ich mich traue vorzulesen. Und jetzt ist es einfach ein unglaublich tolles Gefühl für mich.«