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Lernen durch Beispiele

Das Wort »Lernen« kommt vom Gotischen »lais«, was Spur bedeutet. In der Lernforschung ist die Rede von »Gedächtnisspuren«. Unterstützt wird diese sprachgeschichtliche Herleitung durch die Gehirnforschung. Sie beschreibt, wie Erlebnisse und Wahrnehmungen das Gehirn verändern und wie aus Spuren ausgetretene Trampelpfade werden. Gespeichert werden nicht die einzelnen Erfahrungen, sondern die Gemeinsamkeiten .

Allgemeine Bedeutungen werden nicht auswendig gelernt, sondern das Gehirn erkennt die Muster. Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer erklärt das am Beispiel des Spracherwerbs: »Das Kleinkind ›paukt‹ weder Vokabeln noch die Grammatik. Dennoch wissen Kinder bereits im Vorschulalter, dass Verben, die auf ›-iere‹ enden, das Partizip Perfekt ohne ›-ge‹ bilden. Sie erzählen, dass sie gestern ›ge-laufen‹ sind, aber nicht durch den Wald ›ge-spaziert‹ (sondern nur ›spaziert‹), und was sie vorgestern nur ›verloren‹ (›und nicht ge-verloren‹) haben, das haben sie stolz gestern wieder ›ge-funden‹.«

Vermutlich kennen die wenigsten Erwachsenen diese Regel, wenden sie aber konsequent an. »Man könnte nun einwenden, dass Kinder die richtigen Partizipien auswendig gelernt, also einzeln abgespeichert haben. Dem ist jedoch nicht so, wie sich experimentell nachweisen lässt. Erzählt man ihnen die Geschichte von den Zwergen, die am Abend ›quangen‹ und sich am nächsten Morgen daran erinnern, dann sagt der Zwerg, man habe gestern wieder einmal so richtig schön ›ge-quangt‹. Und wenn die Zwerge am Abend parieren, dann sagt er später, man habe ›patiert‹ – ohne ge-. Daraus folgt zwingend, dass Kinder tatsächlich eine Regel gelernt haben und nicht lediglich viele Beispiele.«

Da niemand den Kindern die Regel bei-ge-bracht hatte, hat Manfred Spitzer induziert (und nicht ge-induziert): »Sie wurde von den Kindern generiert. Gehirne besitzen diese Fähigkeit zum spontanen Generieren von Regeln aufgrund von Beispielen. Alles, was es hierzu braucht, sind die richtigen Beispiele, und viele davon.«