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Kreativität
Eine erstaunliche Mehrheit von 75 Prozent der Menschen glaubt, dass sie ihre Kreativität nicht ausschöpft, schreibt der Marketingprofessor Jonah Berger. Wie lässt sich diese Zahl reduzieren? Schon eine kleine Veränderung in der Wortwahl bewirkt eine große Verbesserung. Einen Hinweis gibt ausgerechnet die Moralphilosophie.
Philosoph*innen haben eine Schwäche für moralische Dilemmata. Sie konstruieren Lose-Lose-Szenarien und fragen, wie man handeln »sollte«. Bekannt ist das sogenannte »Heinz-Dilemma«: Die Frau von Heinz ist krank, doch er kann sich das lebensrettende aber teure Medikament nicht leisten. Sollte er es stehlen? Natürlich nicht! Sollte er seine Frau sterben lassen? Natürlich nicht! Hier treffen zwei moralische Imperative aufeinander.
Das Wort »sollte« eignet sich dazu, zwischen richtig oder falsch zu entscheiden. Wenn es jedoch keine richtige Antwort gibt, dann führt die Frage nach dem Sollen nicht aus dem Konflikt heraus. Erst eine neue Perspektive bringt innovative Lösungen.
Forschende der Harvard University führten ein Experiment durch: Die Versuchsteilnehmenden lösten Probleme wie das von Heinz und seiner Frau. Eine Gruppe bekam den Auftrag zu überlegen, was man tun »sollte«, die andere Gruppe, was man tun »könnte«. Die Lösungen der zweiten Gruppe waren dreimal so kreativ. Durch die Frage nach dem »Können« wurde die Gruppe ermutigt, einen Schritt zurückzutreten, unkonventionelle Denkansätze zu verfolgen, und so entdeckten sie neue Möglichkeiten. (Ting Zhang, Francesca Gino und Joshua Margolis: »Does ›Could‹ Lead to Good? On the Road to Moral Insight«)
Dieses offene und spielerische Problemlösen wird auch divergentes Denken genannt. Es reduziert Denkblockaden und die Wahrscheinlichkeit, sich mit offensichtlichen Antworten zufriedenzugeben. Wir sehen dann nicht nur das, was ist, sondern das, was sein könnte.