unkommentier.bar

2. Tag

In vielen Schreibseminaren werden Texte erst geschrieben und anschließend der Gruppe vorgelesen und kommentiert. Davon rät James Pennebaker ab: »Ich habe auch schon mit Menschen gearbeitet, die in ihrer Schulzeit so streng bestraft wurden, dass sie kaum irgendwas schriftlich in Worte fassen mochten, aus Angst, ich könnte ihnen mit einem Lineal auf die Finger schlagen. Nachdem sie jedoch einmal verstanden hatten, dass ihre Texte weder benotet noch sonst wie beurteilt oder auch nur namentlich bis zu ihnen rückverfolgt werden konnten, legte sich ihre Angst.«

Eine mitfühlende Reaktion ist bei schriftliche Texten ebenso heilsam wie im Gespräch. Doch das ist nicht immer gegeben: »Reagiert die Person, der Sie sich anvertrauen, nicht wohlwollend auf Sie und auf das, was Sie zu sagen haben, könnte es sein, dass Sie das Gefühl bekommen, es wäre besser gewesen, wenn Sie gar nicht erst über das Thema gesprochen hätten.«

Deshalb kann es riskant sein, Texte in der Gruppe vorzulesen oder anderen zum Lesen zu geben: »Wie ist es, wenn etwas Geschriebenes von einer anderen Person gelesen wird? Ganz ähnlich. Wenn Ihr Gegenüber auf das, was Sie geschrieben haben, nicht mitfühlend reagiert, kann es sein, dass Ihre Gefühle hinterher negativer sind als vorher. In der einzigen Studie, in der das expressive Schreiben eher schadete als nutze, mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Texte in der Gruppe vorlesen.«

Außerdem wird schon während des Schreibens das Vorlesen mitgedacht: »Schildern Menschen anderen, die sie nicht kennen oder denen sie nicht vertrauen, die Einzelheiten traumatischer Erfahrungen, halten sie sich häufig zurück. Wird die Geschichte jedoch nicht ehrlich und vollständig erzählt, kommt man auch nicht in den vollen Genuss der Vorteile, die das expressive Schreiben bieten kann.«