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Persönlichkeit

Ratgeberbücher und Coaches versprechen es gleichermaßen: Die Veränderung der Persönlichkeit – so wie beim Friseur die Lockigen glatte Haare bekommen und die Glatthaarigen Locken, als wäre damit etwas gewonnen. Doch die Veränderung der Persönlichkeit wird vor allem in eine Richtung angestrebt. 

Im Oprah-Magazin gibt ein Artikel introvertierten Leser*innen 12 Tipps, wie sie geselliger werden können. Ein Kommentar lautet: »Nur einmal möchte ich gerne einen Artikel sehen wie: ›Extrovertiert? Hier sind einige Tipps, wie man ruhig und reflektierend sein kann‹.«

In seinem Buch »Life code. Was dich und die Welt antreibt« beschwichtigt Hans-Georg Häusel: »Es gibt keinen idealen Persönlichkeitstyp«. Jedoch erscheine es in einer kapitalistischen Gesellschaft besonders attraktiv, zu den durchsetzungsstarken Performer*innen zu gehören. »Denn mit dieser Persönlichkeit sind, so der Glaube, der Porsche und die Villa so gut wie sicher.« Das wirft die Frage auf, ob eine solche Persönlichkeitsveränderung möglich ist. Und warum ist sie überhaupt gewollt? 

Hans Georg Häusel beschäftigte sich während seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Psychiatrie mit den widersprüchlichen Emotionssystemen: Mit Dominanz, Harmonie, Balance und Stimulanz. Diese verknüpfte er zu einer Landkarte der Kräfte, die an einen menschlichen Zoo erinnert: Da gibt es die Disziplinierten und die Offenen, außerdem Traditionalist*innen, Hedonist*innen, Harmonisierer*innen, Abenteurer*innen und eben die Performer*innen. Jede dieser Persönlichkeitsdimensionen hat eine positive Seite und eine negative Seite. Kontrolle kann zu Starrheit führen, Toleranz zu Inkonsequenz, Verlässlichkeit zu Unbeweglichkeit, Freude am Neuen zu Chaos, Harmonie zu Bequemlichkeit, Risikolust zu Leichtsinnigkeit und Dominanz zu Egoismus. 

Doch gerade Egoismus erscheint heutzutage erstaunlich verlockend.

Chanel brachte im Jahr 1990 ein Männerparfum mit dem Namen Égoïste auf den Markt. Es duftete nach Mahagoni, Tabak und Leder und zeigte, wie sich eine Charakterschwäche vermarkten lässt: »ÉGOÏSTE ist ein markanter Herrenduft für einen Mann, dessen Verführungskraft auf einem starken, unabhängigen und unergründlichen Charakter beruht. Die Komposition mit holzig-würzig-ambrierten Noten bringt diese einzigartige und faszinierende Persönlichkeit zum Ausdruck«, heißt es bei Chanel.

»Viele Menschen lieben diese starken Führungspersönlichkeiten, weil sie Sicherheit und Stärke versprechen. Diese Liebe öffnet dem Machtwillen Tür und Tor. Ein Blick nach Russland, Ungarn, Polen und in die USA zeigt, wohin das führt: zum Ende der für uns so wichtigen Demokratie und offenen Gesellschaft.« Das schrieb Hans Georg Häusel im Frühjahr 2020. 

Er hält es für wichtig, ein Umfeld zu finden, das zur eigenen Persönlichkeit passt. »Der Wunsch nach Persönlichkeitsveränderung lässt trotzdem manche Zeitgenossen nicht los. Sie schauen in den Spiegel und sehen eine Ente. Ihr Traum ist es aber, ein Tiger zu werden. Die schlechte Nachricht: Genauso wenig, wie sich eine Ente in einen Tiger verwandeln lässt, wird aus einem Harmoniser ein Performer. Jetzt kommt die gute Nachricht: Tigerente geht! Die Natur hat nämlich im Laufe der Evolution so etwas wie einen zweiten Bildungsweg zum Erfolg erfunden. Damit bekommen jene, die nicht mit Gewinnergenen auf die Welt gekommen sind, die Chance, das Siegertreppchen ein Stück nach oben zu klettern.« Im artgerechten Lebensraum kann eine Tigerente die Glücksspirale hinaufwatscheln, angetrieben von großen und kleinen Erfolgen. Das falsche Umfeld dagegen führt in die Verliererfalle. 

Der Regisseur Jean-Paul Gaude drehte einen Werbefilm für Égoïste, der nur 30 Sekunden dauerte und mehr als eine Million Dollar kostete. Dafür ließ er die Fassade des französischen Luxushotels Carlton im brasilianischen Urwald nachbauen. Im Hintergrund ertönte Prokofjew.

Die Ausgaben schienen sich zu lohnen, denn bereits im ersten Monat wurde für jeden investierten Dollar etwa ein Liter des Parfums verkauft: .»Die Leute kauften das Parfum allein der Werbung wegen. Als sie begannen, das Parfum zu tragen, kauften sie es nicht mehr. Der Geruch war zu stark, so schwer, dass manchen fast schlecht davon wurde. Nach dem ersten Erfolg entwickelte es sich zum Ladenhüter. Werbung kann Hysterie erzeugen, aber wenn das Produkt nicht gut ist, dann wird sie langfristig auch nicht helfen können.«

Warnung: So wie keine Luxusfassade den Geruch eines Parfums erträglicher macht, läuft eine getigerte Ente nicht so schnell wie ein Tiger. Doch einen Schwimmwettbewerb kann sie gewinnen, und wenn sie kein Interesse an Schaukämpfen hat, fliegt sie einfach weg. 

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