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M.B.T.I.

Hamburg Hauptbahnhof. Die ältere Dame im Rüschenkleid wartet geduldig in der Schlange vorm Informationsschalter. Als sie an der Reihe ist, erkundigt sie sich, wie sie zum Metal-Festival nach Wacken kommt.

Bis zu diesem Moment hat sich der Bahnangestellte vermutlich keine Gedanken über die Freizeitaktivitäten seiner Kund*innen gemacht. Und er könnte vielleicht gar nicht beschreiben, wie ein typischer Metaller aussieht. Beim Anblick der gerüschten Bahnfahrerin weiß er aber: So nicht.

Wir typisieren unentwegt, wenn auch nicht immer bewusst. Oft bemerken wir das erst, wenn sich jemand untypisch verhält und unsere Erwartungen nicht erfüllt. Im Alltag reichen meist einzelne Eigenschaften aus, um zu typisieren oder typisiert zu werden: Kleidung, Herkunft, Beruf. Vielleicht hat die untypische Metallerin ja ihrerseits gedacht: »Typisch Beamter – keine Ahnung von Heavy Metal!« und damit für sich eine Interpretation für seine verdutzte Reaktion gefunden. Dass an den Bahnschaltern keine Beamt*innen mehr stehen, spielt keine Rolle, denn Typisierungen sind langlebig und kümmern sich kaum um die Realität.

Schon in der Antike wurden Beobachtungen von Natur und Menschen zu Typologien zusammengefasst. Bekannt ist beispielsweise die Unterteilung in vier Temperamente durch den griechischen Arzt Hippokrates, und noch immer werden seine Begriffe Choleriker, Sanguiniker, Phlegmatiker und Melancholiker verwendet.

Im Jahr 1921 veröffentlichte der Schweizer Arzt und Psychologe Carl Gustav Jung sein Buch »Psychologische Typen«. Er wollte zeigen, dass scheinbar unverständliche Unterschiede im menschlichen Verhalten durchaus in sich konsequent sein können. Die beiden Amerikanerinnen Katherine Briggs und ihre Tochter Isabel Myers bearbeiteten und ergänzten Jungs Typenlehre zum »Myers-Briggs Type Indicator MBTI.«

Weltweit gilt er als das am meisten eingesetzte psychologische Instrument zur Bestimmung von individuellen Neigungen. Er wird bevorzugt für die Personalentwicklung oder bei der Berufswahl verwendet.

Der Psychologieprofessor Brian Little dagegen hält nicht viel vom MBTI: Ein Grund für seine Popularität sei »Marketing und Aufmachung der Materialien und Nebenprodukte. Es sind bunte Hochglanzerzeugnisse, die eine Aura der Professionalität umweht (oder der Geschäftstüchtigkeit, wie einige meinen), was anderen Persönlichkeitstest meistens abgeht.«

Der MBTI unterscheidet zwischen 16 Persönlichkeitstypen. Mittlerweile kursieren zahlreiche Tests, um den eigenen MBTI-Typ zu bestimmen. Die Qualität dieser Tests variiert erheblich. Seit 1990 existiert eine autorisierte deutschsprachige Version von Richard Bents und Reiner Blank, die aus 90 Fragen besteht und nur von lizensierten Beratern verwendet wird.

Ein Gegensatzpaar bezieht sich auf die bevorzugte Art der Wahrnehmung, sinnlich (S) oder intuitiv (N) und ist deshalb besonders relevant für das Lehren und Lernen: »Wenn man einem S-Typen eine Idee vorstellen will, wird er sich typischerweise sofort auf die Einzelheiten stürzen. S-Typen können solche Einzelheiten bis in ihre kleinsten Verästelungen verfolgen« (Richard Bents und Reiner Blank: Typisch Mensch. Einführung in die Typentheorie). Gegensätzlich reagieren die N-Typen: »Versuchen Sie nicht, einem N-Typen mit hunderterlei Einzelheiten und Fakten zu kommen – die interessieren ihn überhaupt nicht« (Richard Bents und Reiner Blank: Der M.B.T.I. Die 16 Grundmuster unseres Verhaltens nach C. G. Jung. Eine dynamische Persönlichkeitstypologie).

Doch auch die Kritik am MBTI ist MBTI-spezifisch:

»Personen mit S-Präferenz scheuen häufig die theoretische und abstrakte Natur des MBTI, weil sie stets um die unmittelbare praktische Anwendung eines Sachverhalts bemüht sind. Den N-Typen dagegen ist der MBTI dagegen zu vereinfacht. ›Warum gibt es bloß 16 Typen?‹ ist eine typische T-Frage.«

Diese und andere Fragen werden noch beantwortet.

Fortsetzung folgt.

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