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Zuversicht
Dihydrogenmonoxid, das klingt gefährlich. Tatsächlich ist die Substanz Bestandteil von saurem Regen, trägt zum Treibhauseffekt bei und kann in großen Mengen tödlich sein. »Finden Sie nicht auch, dass man Dihydrogenmonoxid endlich verbieten sollte?« Diese Frage wurde Studierenden der Universität in Santa Cruz gestellt. Die Kampagne war insgesamt erfolgreich, aber nicht an der chemischen Fakultät. Dort erkannte man vermutlich, dass die Initiative ein Scherz war, denn Dihydrogenmonoxid lautet die zwar chemisch korrekte, aber ungewöhnliche Bezeichnung für Wasser.
Di- = zwei
Hydrogen = Wasserstoff
Mono- = eins
Oxid = Sauerstoffverbindung
Dihydrogenmonoxid bezeichnet ein Molekül aus zwei Wasserstoffatomen (H₂) und einem Sauerstoffatom (O) – also H₂O.
Und auch die Risiken von H₂O sind richtig dargestellt, aber natürlich kein Grund für ein Verbot.
Von Marie Skłodowska-Curie stammt das Zitat »Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.« Als Nobelpreisträgerin in Chemie und Physik wäre sie nicht auf die Dämonisierung von Wasser hereingefallen. Wie ihre Zeitgenossen unterschätzte sie dagegen die Gefahren der Radioaktivität. Damals galten radioaktive Stoffe als heilsam und wurden in Cremes und Getränken eingesetzt.
Der Arzt Volker Busch warnt davor, Gefahren zu unterschätzen, aber auch zu überschätzen: »Nichts zu tun wäre fahrlässig, wenn sich Gefahren am Horizont abzeichnen. Aber Maß und Mitte können schnell verloren gehen. Mehr Sachverstand, bessere Statistikkenntnisse, Mut zur Besonnenheit und nicht zuletzt eine weniger hysterische Darstellung in den Medien helfen dabei, Risiken besser abzuschätzen. Aktuell scheint die gesamte Zukunft eine einzige Gefahr zu sein, wenn man manchen Prognosen Glauben schenkt. Negative Prophezeiungen haben Hochkonjunktur.«
Im Schätzen ist unser Gehirn nicht gut, und das gilt insbesondere für die Zukunft in einer globalisierten und komplexen Welt. Neu ist das Phänomen jedoch nicht: Die unheilvollen Prophezeiungen des Nostradamus aus dem 16. Jahrhundert gehören zu den meistgelesenen Büchern der Welt, obwohl die Vorhersagen bestenfalls Zufallstreffer enthalten.
Düstere Prognosen bekommen viel Aufmerksamkeit und eignen sich für Schlagzeilen. »Deswegen werden in Talkshows auch lieber Propheten eingeladen, die es verstehen, alle mit Ängsten verrückt zu machen, als langweilige Technokraten, die die Hälfte der Panikmache mit ihrem Sachverstand wieder aus dem Weg räumen könnten. Aber gerade in hysterischen Zeiten, in denen Wahrheiten vor allem ›gefühlt‹ werden, ist der Verstand als rationales Gegengewicht unverzichtbarer denn je. Er allein ist es, der unseren Kopf wieder geraderückt, wenn Gefühle ihn in eine Schieflage bringen.«
Dies erscheint durchaus sinnvoll, denn Angst motiviert, eine Gefahr abzuwenden. Kurzfristig funktioniert das sogar, aber langfristig überwiegt die Handlungshemmung. »Eine Arbeitsgruppe der Universität Toronto schaute sich anhand der Tagebucheinträge von knapp 2000 Menschen über mehrere Wochen an, wie sich politische Meldungen und Prognosen auf die Stimmung sowie auf die Handlungsmotivation auswirkten. Je emotional aufgebrachter die Teilnehmer waren, desto weniger Motivation hatten sie im Anschluss daran, noch zu handeln. Ängste und Bedrohungserwartungen können also nicht nur psychisch belasten. Die fortwährenden Bombardements mit dem, was alles noch Schlimmes kommen könnte, lässt vielfach auch die Zuversicht schwinden. Und im schlimmsten Fall führt sie zu Resignation, Passivität und Demotivation.«
Dihydrogenmonoxid kann Leben erhalten oder zerstören, je nach Dosis und Anwendung. Das gilt auch für die Angst.