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Unkenntnis

Alle Jahre wieder bekommen die Quarks Science Cops verzweifelte Anfragen ihrer Hörer*innen: Wie soll man reagieren, wenn der Verschwörungsonkel oder die Esoteriktante die Feiertage für Missionierungsversuche nutzt? Die Autorin von »True Facts: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft« Pia Lamberty gibt Rat. Sie hält Verschwörungsmythen nicht für ein neues Phänomen und zitiert zur Illustration die widersprüchlichen Theorien rund um den Tod von Diana Spencer im Jahr 1997. Wer einen Mord durch Geheimdienste vermute, glaube auch eher daran, dass die Prinzessin noch lebe.

Auch das Buch »How to Have Impossible Conversations: A Very Practical Guide« von Peter Boghossian und James Lindsay erschien bereits im Jahr 2019. Damals nannten sie als Grund für das Buch: »Wir leben in einem zerklüfteten, polarisierenden Zeitalter und reden kaum noch miteinander. Die Auswirkungen dieser Tendenz sind vielfältig und schwerwiegend.« Sie spannen den Bogen von Konflikten in der Familie zu sozialen Medien: »Wir wissen nicht einmal, wie man beim Abendessen im Kreis der Familie mit Meinungsverschiedenheiten umgeht, und trotzdem geraten wir mit Bekannten und in den sozialen Medien immer wieder in hitzige Diskussionen. Viele versuchen, dieses Problem zu umgehen, indem sie heikle Gesprächsthemen ausklammern. Das ist in Ordnung und unter bestimmten Bedingungen vielleicht auch die einzig richtige Entscheidung. Aber diese Lösung ist kein Allheilmittel, sondern bietet sich nur im Einzelfall an.«

Die Autoren sind zuversichtlich, dass auch schwierige Fragen konstruktiv behandelt werden können: »Wenn wir über ›schwierige Gespräche‹ sprechen, meinen wir damit Gespräche, die aussichtslos wirken, weil die Fronten sehr verhärtet sind und der Eindruck entsteht, dass die verschiedenen Ideen, Werte, politischen Ansichten oder Weltanschauungen der beteiligten Parteien sich nicht miteinander vereinbaren lassen.« Zur Unterstützung stellen sie 36 evidenzbasierte Techniken vor. »Wir erklären, wie man einen produktiven Dialog aus etwas erschafft, das ansonsten in ein ›Duell der Predigten‹ ausarten würde.«

Peter  Boghossian und James Lindsay unterscheiden zwischen dem Überbringen einer Botschaft und einem echten Gespräch. »Das Überbringen einer Botschaft wirkt wie eine Belehrung, während ein Gespräch eine Lernerfahrung ist, von der alle Beteiligten profitieren. Wenn Sie sich bei dem Gedanken ertappen: ›Wenn er nur diesen Standpunkt verstehen würde, würde er seine Meinung schon ändern‹, dann überbringen Sie eine Botschaft.«

Der Philosoph Robert Wilson und der Psychologe Frank Keil schrieben einen Artikel über das Phänomen der Unkenntnis der eigenen Unkenntnis mit dem Titel »The Shadows and Shallows of Explanation«. Da wir theoretisch Zugang zu unzähligen Fachbüchern haben, neigen wir dazu, unser Wissen zu überschätzen, so als hätten wir alle diese Bücher tätsächlich gelesen. Peter Boghossian und James Lindsay nennen diesen Trugschluss den »Effekt der ungelesenen Bibliothek« und beschreiben ein Experiment der Kognitionswissenschaftler Steven Sloman und Philip Fernbach, das zeigte, »dass der Effekt der ungelesenen Bibliothek auch für politische Überzeugungen gilt. Das heißt: Wenn man Leuten hilft zu verstehen, dass sie sich auf Leihwissen verlassen, führt das dazu, dass sie anfangen, Dinge zu hinterfragen und damit ihre Überzeugungen zu relativieren. Indem sie die Teilnehmer dazu aufforderten, politische Positionen sowie deren Anwendung und Auswirkungen möglichst genau zu erklären, gelang es den Forschern, rigorose politische Ansichten zu mäßigen.« Sofern das Gegenüber keine Koryphäe auf dem Gebiet der Diskussion ist, offenbaren die Erklärungen den Mangel an Wissen und lösen idealerweise Zweifel und Offenheit für neue Argumente aus. »Slomans und Fernbachs Forschung zeigt, dass der Versuch, komplizierte Sachverhalte zu erklären, oft den Effekt der ungelesenen Bibliothek offenbart und dazu führt, dass Ansichten revidiert oder zumindest nicht mehr so vehement vertreten werden.«

Zwei praktische Empfehlungen können zusätzlich den häuslichen Frieden erhalten: »Vermeiden Sie Fachchinesisch. Streben Sie nach Klarheit. Und verwenden Sie das Wort ›Quantum‹ nur dann, wenn Sie Quantenphysiker sind.« Und falls das alles nicht hilft: »Sie kennen sicher den einen Onkel, der jedes Familientreffen ruiniert, weil er es einfach nicht lassen kann und ständig über Religion oder Politik redet? Seien Sie nicht diese Person. Wenn sich das Gespräch erhitzt, sollten Sie bereit sein, das Thema zu wechseln und über weniger brisante Dinge zu reden.«