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Regression zur Mitte

Hilft Buchstabensuppe bei Rechtschreibschwierigkeiten? Bisher kam noch niemand auf die Idee, dieses Wundermittel zu vermarkten. Dabei ließen sich durchaus Belege für die positive Wirkung finden. Jedoch auch für eine negative Wirkung, wenn sich die Rechtschreibung von leistungsstarken Kindern nach dem Konsum von Buchstabensuppe verschlechtert.

Wahrscheinlicher als ein Buchstabensuppeneffekt ist die sogenannte Regression zur Mitte: Sie beschreibt das Phänomen, dass sich extreme Werte bei wiederholten Messungen dem Durchschnitt annähern. Das bedeutet, dass außergewöhnliche Leistungen oft nur vorübergehend sind und sich bei späteren Messungen relativieren.

Mai Thi Nguyen-Kim illustriert diesen Effekt mit einem Würfelexperiment. Ihr Ziel ist es, möglichst hohe Augenzahlen zu würfeln. Ein ungezinkter Würfel lässt sich nicht beeinflussen, sagt die Stochastik. »Doch«, sagt Mai Thi Nguyen-Kim, »und zwar mit Max dem kleinen Würfelhasen.« Bei niedrigen Augenzahlen wie 1 oder 2 kommt Max ins Spiel. Dann zeigt der folgende Wurf überdurchschnittlich oft eine höhere Augenzahl. Es funktioniert! »Das Reiben am Würfelhasen führt dazu, dass die Augenzahlen nach oben gehen. Daraus folgt: Der Würfelhase wirkt.« Die ernüchternde Auflösung: Bei jedem Wurf ist die Wahrscheinlichkeit für die Zahlen 1 bis 6 jeweils gleich. Nach einer 2 gibt es jedoch nur eine niedrigere Zahl, aber vier Möglichkeiten, eine höhere Zahl zu würfeln, nach einer 1 sogar fünf Möglichkeiten. Das Würfelexperiment lässt sich auf Schwankungen im Alltag übertragen. Ein außergewöhnlicher Zustand schwingt auch ohne Buchstabensuppe oder Würfelhasen wieder zum gewöhnlichen Zustand.

Der Schriftsteller Rolf Dobelli erklärt die Regression zur Mitte mit einem Beispiel aus der Schule: »In Bosten wurden die Schulen mit den schlechtesten Testresultaten einem aufwendigen Förderprogramm unterzogen. Im folgenden Jahr landeten diese Schulen nicht mehr auf den untersten Rängen – eine Verbesserung, die die staatliche Aufsichtsbehörde dem Förderprogramm und nicht der natürlichen Regression zur Mitte zuschrieb.«

Doch was spricht gegen solche Förderprogramme, ob mit oder ohne Regression zur Mitte?

»Die Regression zur Mitte zu ignorieren, kann verheerende Folgen haben: So kommen etwa Lehrer (oder Manager) zu dem Schluss, Strafen seien wirkungsvoller als Lob. Der Schüler mit dem besten Prüfungsergebnis wird gelobt. Der Schüler mit dem schlechtesten getadelt. In der nächsten Prüfung werden – rein stochastisch – vermutlich andere Schüler die obersten und untersten Spitzenplätze belegen. Der Lehrer schließt daraus: Tadel hilft und Lob schadet. Ein Trugschluss.«